Die Revolution der Ameisen
Gehirn durch die Nase herausgezogen. Hier war das Gegenteil der Fall: ein Gehirn wollte sich in ihrer Nasenhöhle einnisten.
Sie atmete tief ein, und plötzlich strömten Davids Gedanken in ihre beiden Gehirnhälften, und seine Ideen zirkulierten in ihrem eigenen Gehirn, so als wären sie dort zu Hause. Sie empfing Bilder, Töne, Musik, Gerüche, Pläne und Erinnerungen, und obwohl der junge Mann sich dem heftig widersetzte, konnte sie immer wieder flüchtig einen fuchsienroten Gedanken erkennen, der sich wie ein ängstliches Kaninchen zu verstecken versuchte.
Gleichzeitig sah David eine marineblaue Wolke mit einer Tür, die sich langsam öffnete. Ein kleines Mädchen lief dort herum, und er folgte ihm. Es führte ihn zu einem Bau, der sich als Julies riesiger Kopf entpuppte. Ihr Gesicht öffnete sich wie eine weitere Tür und enthüllte ein Gehirn, das die Form eines Ameisenbaus hatte. Durch einen schmalen Gang gelangte er ins Innere.
David schweifte durch Julies Gehirn, und sie zeigte ihm, wie sie ihn sah. Er war sehr erstaunt, daß sie ihn als schüchternen jungen Mann einstufte.
Er zeigte ihr, wie er sie sah: als ein ungewöhnlich schönes und intelligentes Mädchen.
Sie erklärten einander alles, enthüllten alles, begriffen die wirklichen Gefühle des anderen.
Julie spürte plötzlich etwas Neues: Ihre Neuronen verbündeten sich mit Davids Neuronen, plauderten miteinander, fanden einander sympathisch und wurden Freunde. Und dann tauchte in dem rosa Dunst das ängstliche kleine fuchsienrote Kaninchen wieder auf, und diesmal begriff Julie.
Das war die Zuneigung, die David für sie empfand.
Diese Zuneigung hatte ihn veranlaßt, ihr in der Mathematikstunde einzusagen, und sie hatte ihm den Mut verliehen, sich ihretwegen zweimal mit Gonzague Dupeyron und dessen Bande anzulegen. Nicht zuletzt hatten seine Gefühle ihr gegenüber ihn dazu bewogen, sie in seine Rockgruppe aufzunehmen.
Sie verstand ihn jetzt. Ihr Geist hatte sich mit seinem vereinigt. 1 + 1 = 3. David, Julie und ihre Gemeinschaft.
Ein eisiger Schauer überlief beide, als diese Absolute Kommunikation abriß. Sie nahmen ihre künstlichen Fühler ab, und Julie schmiegte sich an David, um sich zu wärmen. Er streichelte sanft ihr Gesicht und ihr Haar, und dann schliefen sie in der großen Pyramide Seite an Seite ein.
202. ENZYKLOPÄDIE
Der Tempel Salomos: Der Tempel von König Salomo in Jerusalem setzte sich aus perfekten geometrischen Formen zusammen. Vier Plattformen, jede von einer Steinmauer umschlossen, symbolisierten die vier Welten, aus denen das Leben besteht:
Die materielle Welt: der Körper;
die emotionale Welt: die Seele;
die geistige Welt: die Intelligenz;
die mystische Welt: der Funke Göttlichkeit, den jeder von uns in sich trägt.
Im Innern der göttlichen Welt repräsentierten drei Säulenhallen:
Die Schöpfung;
die Entwicklung;
das Wirken.
Die Tempelanlage war ein riesiges Rechteck von 100 Ellen Länge, 50 Ellen Breite und 30 Ellen Höhe. Der in der Mitte emporragende Tempel war 30 Ellen lang und 10 Ellen breit. Im Hintergrund befand sich der kubische Schrein des Allerheiligsten.
Dieser Kubus aus Akazienholz hatte eine Kantenlänge von \1 Ellen. Auf ihm lagen zwölf Brote für die zwölf Monate eines Jahres, und ein siebenarmiger Leuchter stand dort, der die sieben Planeten symbolisierte.
Aus alten Texten, speziell jenen des Philon von Alexandria, geht hervor, daß der salomonische Tempel eine geometrische Figur realisierte, die ein Kraftfeld bilden sollte. Die Goldene Zahl ist der Maßstab heiliger Dynamik, und das Allerheiligste ist dazu gedacht, kosmische Energie zu verdichten. Der Tempel soll eine Stätte des Übergangs von der sichtbaren in die unsichtbare Welt sein.
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und1 absoluten Wissens, Band III 557
203. DIE LIEBE
Hier verloren sich die Fußspuren. Maximilien lief auf dem Hügel hin und her und konnte einfach nicht begreifen, wie es möglich war, daß eine Betonpyramide sich plötzlich in Luft auflöste. Seine scharfe Beobachtungsgabe sagte ihm, daß irgend etwas nicht stimmte, aber ihm fehlten noch einige Puzzleteilchen, um das Bild zusammensetzen zu können.
Nervös wühlte er mit dem Absatz die Erde auf.
Unter der Erde: Wurzeln, Würmer, Kieselsteine, Sand. Unter dem Sand: eine Betonmauer. Unter dem Beton: die Decke von Julies Schlafkammer. Unter der Decke: Luft.
Unter der Luft: ein Baumwollaken. Unter dem Laken: ein schlafendes Gesicht. Unter der
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