Die Revolution der Ameisen
Nr. 24 will Näheres über die Sexualität der Finger wissen, wahrscheinlich weil er gerade eine Szene über dieses Thema verfaßt.
SEXUALITÄT
Die Finger sind die geschlechtlich unersättlichste Tierart.
Während die anderen Tiere ihre sexuelle Aktivität auf eine kurze Periode im Jahr, die sogenannte ›Hochzeitsperiode‹
beschränken, haben die Finger ständig Lust auf Paarungen.
Ob es dabei zu einer Befruchtung kommt, müssen sie dem Zufall überlassen, denn das Weibchen gibt dem Männchen nicht durch irgendwelche äußerlichen Merkmale zu erkennen, wann es schwanger werden kann.
Während der Zeugungsakt bei den meisten Säugetieren kaum länger als zwei Minuten dauert, kann der männliche Finger ihn so lang ausdehnen, wie er will.
Der weibliche Finger stößt auf dem Höhepunkt des Zeugungsakts laute Schreie aus. Man weiß nicht, warum.
Prinzessin Nr. 103 und Prinz Nr. 24 werden auf dem Rücken ihrer Reiseschnecke sanft geschaukelt. Sie sind so in ihre Unterhaltungen über die Welt der Finger vertieft, daß sie die Landschaft gar nicht beachten, und es fällt ihnen auch nicht auf, daß ihre Schnecke sie mit ihren Tentakelaugen beobachtet.
Unter ihnen zieht die Masse der Pilger in zwei langen Kolonnen dahin, um nicht durch den Schleim der Schnecke waten zu müssen. Ihre Biwaks sind jetzt so riesig, daß sie nicht mehr wie Kugeln an den Ästen hängen, sondern ganze Tannen bedecken.
Prinzessin Nr. 103 nimmt die geballten Gerüche der Menge, deren Führerin sie ist, deutlich wahr. Umgekehrt können aber die Pheromone ihrer Erzählungen das Ende der Schlange nicht erreichen, und deshalb werden sie von Ameisen weitergegeben.
Allerdings werden die Informationen dabei manchmal leicht verzerrt, denn die Nachrichtenübermittlung durch Gerüche ist nicht viel zuverlässiger als die mündliche.
Die Prinzessin hat gesagt, die weiblichen Finger würden bei der Paarung laute Schreie ausstoßen.
Bei den Fingern wundert man sich über gar nichts mehr.
Aber manche Insekten fügen ihre persönliche Interpretation der ursprünglichen Aussage hinzu.
»Warum stoßen die weiblichen Finger Schreie aus?«
Sie bekommen zur Antwort:
»Um ihre Feinde in die Flucht zu schlagen, damit sie bei der Paarung nicht gestört werden.«
Die Ameisen am Ende der Prozession vernehmen schließlich folgende Botschaft:
»Die Finger vertreiben ihre Feinde durch lautes Schreien.«
Die Prinzessin ist überzeugte Atheistin, aber sie kann nicht verhindern, daß immer mehr Marschteilnehmer die Finger für Götter halten und von einer Wallfahrt sprechen.
Prinz Nr. 24 wünscht weitere Informationen. Wie geben die Finger beispielsweise Alarm?
ALARM
Weil die Finger über keine Duftsprache verfügen, können sie keine Alarmpheromone ausstoßen.
Bei Gefahr geben sie deshalb entweder auditive Signale –
beispielsweise durch heulende Sirenen – oder visuelle Signale, beispielsweise rote Blinklichter.
Meistens sind es aber die Fernsehantennen, die als erste informiert sind und der Bevölkerung signalisieren, daß irgendeine Gefahr droht.
Der riesige Zug erregt im Wald großes Aufsehen, und alle, die sich ihm nicht anschließen, sind sehr beunruhigt, denn er verschlingt im wörtlichen Sinn nicht nur immer mehr Tiere, sondern brät sie auch noch, bevor sie gegessen werden!
205. DAS ZERBROCHENE EI
Julie wollte David gerade wieder küssen, als von draußen eine wohlbekannte Stimme hereindröhnte:
»Kommen Sie sofort heraus! Sie sind umzingelt!« Die ganze Pyramide geriet in Aufruhr. Alle rannten in den Computersaal und scharten sich um die Videokameras, auf denen Polizisten zu sehen waren, die auf dem Hügel Stellung bezogen.
In Julies Schlafkammer blinkte ein rotes Licht.
»Jetzt ist alles aus«, murmelte David.
»Machen wir trotzdem noch ein bißchen weiter«, sagte Julie.
»Es war so herrlich …«
Ji-woong riß die Tür auf, blieb überrascht stehen, verzichtete aber auf jeden Kommentar und sagte nur:
»Wir werden angegriffen. Kommt schnell!«
Jonathan und Laetitia holten einen Koffer mit der Aufschrift
›Beobachtung‹. In einem weichen Moosbett lagen darin fliegende Ameisenroboter.
Vier dieser Wunderwerke der Mikromechanik wurden zu den Belüftungsschächten gebracht. Jonathan Wells, Laetitia Wells, Jason Bragel und Jacques Méliès setzten sich an die Kontrollbildschirme und steuerten die Ameisen, die gleich darauf Nahaufnahmen von den Vorgängen um ihren Zufluchtsort herum lieferten.
Maximilien
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