Die Revolution der Ameisen
versicherte der Staatsanwalt und zog ein dickes Buch unter seinem Pult hervor.
Es war der zweite Band der Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens.
»Die Enzyklopädie!« stöhnte Arthur.
»Herr Vorsitzender, auf den leeren Seiten am Ende dieser Enzyklopädie hat Arthur Ramirez Tagebuch geführt. Wir haben das Buch bei der zweiten Durchsuchung der Pyramide gefunden. Monsieur Ramirez erzählt die ganze Geschichte der Pyramidenbewohner und schreibt begeistert über eine besonders begabte Ameise namens Nr. 103, die mit unserer Welt und Kultur vertraut ist. Mit dieser Nr. 103 könnte man sich bestimmt unterhalten, ohne ihr jedes Wort erklären zu müssen.«
Maximilien schäumte vor Wut. Er hatte bei seiner ersten Durchsuchung der Pyramide so viele Schätze gefunden, daß er den großen Büchern keine Beachtung geschenkt hatte. Beim kurzen Durchblättern war er nur auf mathematische und chemische Formeln gestoßen und hatte sie deshalb liegen gelassen. Dabei predigte er den Polizeischülern immer wieder, man müsse alles um sich herum mit der gleichen Objektivität beobachten.
Und jetzt wußte dieser Staatsanwalt mehr als er und las genüßlich vor:
»Nr. 103 ist heute mit einer riesigen Armee gekommen und hat uns gerettet. Um ihre Erfahrungen aus der Menschenwelt an ihre Artgenossen weitergeben zu können, hat sie sich in eine fortpflanzungsfähige Ameise verwandelt und ist jetzt Königin.
Trotz ihrer vielen Reisen sieht sie gesund aus, und sie hat immer noch die gelbe Markierung auf der Stirn. Wir haben uns mit Hilfe des ›Steins von Rosette‹ lange unterhalten. Nr. 103 ist wirklich die begabteste Ameise, die man sich vorstellen kann.
Sie hat es sogar geschafft, Millionen von Insekten zu überreden, ihr zu folgen, um uns kennenzulernen.«
Gemurmel im Saal.
Der Richter rieb sich die Hände. Mit diesen sprechenden Ameisen würde er einen Präzedenzfall schaffen und in die Annalen der juristischen Fakultät eingehen, weil er den ersten Prozeß der Neuzeit gegen Tiere geführt hatte. Selbstsicher verkündete er: »Haftbefehl gegen diese …«
»Nr. 103«, soufflierte ihm der Staatsanwalt.
»Ach ja! Haftbefehl gegen Nr. 103, Ameisenkönigin. Sie muß festgenommen und dem Gericht vorgeführt werden.«
»Aber wie wollen Sie sie finden?« fragte der erste Beisitzer.
»Eine Ameise in einem Riesenwald! Das ist ja noch schlimmer als die berühmte Nadel im Heuhaufen.«
Maximilien stand auf. »Lassen Sie mich das machen. Ich habe eine Idee.«
Der Vorsitzende seufzte. »Ich befürchte, daß mein Kollege recht haben könnte. Eine Nadel im Heuhaufen …«
»Das ist nur eine Frage der Methode«, erklärte Maximilien.
»Wissen Sie, wie man eine Nadel im Heuhaufen finden kann?
Man braucht den Heuhaufen nur zu verbrennen und dann mit einem Magnet in der Asche zu suchen.«
219. ENZYKLOPÄDIE
Manipulation: Das Experiment von Professor Asch. Im Jahre 1961 hat der amerikanische Professor Asch sieben Personen in einem Zimmer versammelt und ihnen erklärt, man wolle mit ihnen ein Experiment in bezug auf ihr Wahrnehmungsvermögen durchführen. In Wirklichkeit sollte nur ein einziger getestet werden. Die sechs anderen wurden dafür bezahlt, daß sie den Testkandidaten in die Irre führen sollten.
An die Wand waren zwei Linien von 25 cm und 30 cm Länge gezeichnet. Die Linien verliefen parallel, und deshalb konnte man deutlich sehen, welche die längere war. Professor Asch fragte jeden, welche Linie länger sei, und die sechs unechten Kandidaten sprachen sich einmütig für die 25 cm lange Linie aus. Fragte man schließlich die echte Testperson, bestätigte sie in 60% der Fälle, daß die 25 cm lange Linie die längere sei.
Entschied sich der Testkandidat aber für die 30 cm lange Linie, wurde er von den sechs anderen verspottet, und unter diesem Druck gaben 30% schließlich zu, sich geirrt zu haben.
Das Experiment wurde an hundert Studenten und Universitätsprofessoren durchgeführt (also durchaus nicht an besonders gutgläubigen Personen), und neun von zehn waren am Ende überzeugt, die 25 cm lange Linie sei die längere.
Auch wenn Professor Asch seine Frage mehrmals wiederholte, verteidigten viele ihre Ansicht und wunderten sich, daß er so beharrlich nachfragte.
Das Überraschendste war jedoch, daß 10% der Testpersonen sogar dann noch auf ihrer Meinung beharrten, als man ihnen schon erklärt hatte, daß die sechs anderen sie nur in die Irre führen sollten.
Jene, die ihren Irrtum zugaben, brachten
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