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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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alle möglichen Entschuldigungen vor: Sehprobleme oder trügerische Beobachtungswinkel …
    EDMOND WELLS,
    Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
     

220. BEHARRLICHKEIT
    Maximilien war in die Pyramide zurückgekehrt. Sie barg auch nach zwei gründlichen Durchsuchungen noch viele Geheimnisse, davon war er überzeugt. Mit der Taschenlampe in der Hand ging er von Raum zu Raum, ohne zu wissen, wonach er eigentlich suchte.
    Beobachten. Lauschen. Nachdenken.
    Von seinen fünf Sinnen war das Sehvermögen am ausgeprägtesten, und deshalb bemerkte er plötzlich eine Ameise, die in einem leeren Terrarium umherwanderte und dann in einen durchsichtigen Plastikschlauch kletterte, der zum Fußboden hinabführte und dort verschwand.
    Maximilien ließ die Ameise nicht aus den Augen, während sie ihn überhaupt nicht wahrnahm. Er war viel zu riesig, als daß sie ihn hätte sehen können, und in dem Plastikschlauch konnte sie ihn auch nicht riechen. Völlig ahnungslos wies sie dem Wolf den Weg in den Schafstall …
    Der Kommissar schnitt den Schlauch in Bodenhöhe mit seinem Taschenmesser durch und spähte durch das schmale Loch in die Tiefe. Dann hielt er sein Ohr an die Öffnung. Er sah fernes Licht, und er hörte leise Geräusche. Aber wie sollte er nach unten gelangen?
    Nervös lief er in dem Zimmer auf und ab. Für jedes Rätsel gab es eine Lösung, man mußte sie nur finden.
    Beobachten. Lauschen. Nachdenken.
    Um sich abzulenken, durchsuchte er noch einmal die oberen Etagen und erfrischte sich in einem Bad. Er warf einen Blick in den Spiegel. Darunter lag eine dreieckige Seife.
    Der Spiegel …
    Beobachten. Lauschen. Nachdenken.
    Nachdenken … Reflektieren …
    Reflektieren.
    Re-flek-tieren. Reflex.
    Spiegelung.
    Maximilien lachte schallend. Die Lösung lag doch eigentlich auf der Hand.
    Wie bildet man acht gleich große gleichseitige Dreiecke aus sechs Streichhölzern? Indem man die Pyramide – besser gesagt, den Tetraeder – auf einen Spiegel stellte! Er holte eine Streichholzschachtel aus der Tasche und probierte es aus.
    Gespiegelt ergab die Pyramide einen Rhombus.
    Er erinnerte sich an die ›Denkfalle‹. Erstes Rätsel: Vier Dreiecke mit sechs Streichhölzern. Lösung: Die Pyramide. Die Entdeckung der dritten Dimension.
    Zweites Rätsel: Sechs Dreiecke aus sechs Streichhölzern.
    Lösung: Die Verschmelzung von Komplementen, das Dreieck von oben und das Dreieck von unten.
    Drittes Rätsel: Acht Dreiecke aus sechs Streichhölzern.
    Lösung: Eine Pyramide auf einem Spiegel, folglich zwei Pyramiden, eine nach oben, die andere nach unten gerichtet, so daß sie einen Rhombus ergeben.
    Die Evolution des Dreiecks … Die Evolution des Wissens.
    Es gab hier also eine Pyramide unter der Pyramide …
    Er eilte nach unten und riß die Teppichfliesen vom Boden ab.
    Schließlich fand er eine Klapptür, und als er sie öffnete, kam eine Treppe zum Vorschein.
    Der Kommissar schaltete seine Taschenlampe aus, denn unten war alles hell beleuchtet.
     

221. ENZYKLOPÄDIE
     
    Das Stadium der Spiegel: Mit zwölf Monaten durchlebt das Baby eine seltsame Phase: das Stadium der Spiegel.
    Bis dahin hat es geglaubt, alles wäre eine Einheit: es selbst, die Mutter, die Mutterbrust, die Saugflasche, das Licht, der Vater, die eigenen Hände und alle Spielsachen. Für ein Baby gibt es keinen Unterschied zwischen groß und klein, zwischen vorne und hinten. Alles ist eins, und alles ist in ihm selbst.
    Und dann kommt das Stadium der Spiegel. Mit einem Jahr beginnt das Baby zu laufen, seine Hände werden geschickter, und es kann seine Bedürfnisse besser beherrschen. Der Spiegel wird ihm jetzt offenbaren, daß es ein Einzelwesen ist, daß es andere Menschen und eine Außenwelt gibt. Das kann entweder seine Sozialisation oder eine Abkapselung bewirken. Das Baby erkennt sich, und man sieht ihm sofort an, ob es sich gefällt oder nicht. Entweder es strahlt übers ganze Gesicht, lacht und versucht sein Spiegelbild zu umarmen, oder aber es schneidet sich Grimassen.
    Meistens findet es sich wunderschön, es verliebt sich in sich selbst, es vergöttert sich geradezu. In seiner Fantasie wird es zum Helden, und diese durch den Spiegel entwickelte Fantasie hilft ihm, die vielen Frustrationen des Lebens zu ertragen. Es wird sogar die bittere Erkenntnis ertragen, daß es nicht der Herr der Welt ist.
    Selbst wenn das Kind keine Gelegenheit hat, sich in einem Spiegel oder im Wasser zu entdecken, wird es diese Phase durchlaufen. Es wird ein

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