Die Revolution der Ameisen
sondern auch Ben Hur und Planet der Affen, der ihr viel zu denken gegeben hatte, weil dieser Film zeigte, daß Menschen nicht unbesiegbar waren und von anderen behaarten Tieren beherrscht werden konnten.
Wie zuvor der Richter, so versuchte jetzt der Staatsanwalt, seine Überraschung zu verbergen. Rasch fuhr er fort: »Gut, dann wissen Sie vielleicht auch, daß eines dieser Gebote lautet:
›Du sollst nicht töten.‹«
Arthur lächelte in sich hinein. Der Staatsanwalt wußte nicht, worauf er sich eingelassen hatte.
»Aber ihr selbst habt aus der Ermordung von Rindern und Hühnern eine ganze Industrie gemacht. Ganz zu schweigen von der Corrida, wo ihr einen Stier in aller Öffentlichkeit tötet.«
»Töten im biblischen Sinn heißt nicht ›keine Tiere töten‹, sondern ›keine Menschen töten‹.«
» Warum sollte das Leben von Fingern mehr wert sein als das von Hühnern, Rindern oder Ameisen?«
Der Vorsitzende seufzte. Es schien unmöglich zu sein, sich bei diesem verrückten Prozeß auf Fakten zu beschränken.
Ständig kam es zu philosophischen Debatten.
Der Staatsanwalt war wütend. An die Geschworenen gewandt, deutete er auf die Leinwand, wo der Kopf von Nr.
103 in Großaufnahme zu sehen war.
»Kugelaugen, schwarze Mandibel und Fühler – wie häßlich eine Ameise doch ist! Nicht einmal die schlimmsten Monster in Science-Fiction-Filmen sehen so abstoßend aus. Und diese Tiere, die tausendmal häßlicher als wir sind, wollen uns auch noch belehren!«
Die Antwort der Ameise ließ nicht lange auf sich warten.
»Und Sie? Glauben Sie etwa, daß Sie nicht häßlich sind mit Ihren wenigen Haaren auf dem Schädel, Ihrer blassen Haut und den Nasenlöchern mitten im Gesicht?«
Der ganze Saal brach in schallendes Gelächter aus, während besagte blasse Haut sich scharlachrot verfärbte.
»Sie schlägt sich fantastisch«, flüsterte Zoé David ins Ohr.
»Ich wußte schon immer, daß Nr. 103 unersetzlich ist«, murmelte Arthur, sehr gerührt von den Heldentaten seiner Schülerin.
Der Staatsanwalt hatte sich gefaßt und griff nun noch wütender an:
»Es gibt nicht nur die Schönheit oder Häßlichkeit, es gibt auch die Intelligenz, und über Intelligenz verfügt nur der Mensch. Das Leben der Ameisen ist nicht wichtig, weil sie nicht intelligent sind.«
»Sie haben ihre eigene Form der Intelligenz«, kam Julie der Ameise zu Hilfe.
Der Staatsanwalt jubilierte insgeheim. Sie waren in die Falle gegangen.
»Dann beweisen Sie mir doch, daß Ameisen intelligent sind.«
Der Computer blinkte – ein Zeichen, daß er einen Satz der Prinzessin übersetzte.
»Beweisen Sie mir, daß der Mensch intelligent ist.«
Der Saal war völlig außer Rand und Band. Alle ergriffen Partei, alle äußerten ihre Meinung. Der Richter trommelte vergeblich mit seinem Hämmerchen auf den Tisch.
»Nun gut, nachdem es offenbar unmöglich ist, die Ruhe wiederherzustellen, wird die Verhandlung auf morgen vormittag, 10 Uhr, vertagt.«
Im Rundfunk und im Fernsehen standen an diesem Abend alle Kommentatoren auf der Seite von Nr. 103. Eine 6,3 mg schwere Ameise war beim Verhör dem Staatsanwalt und dem Richter überlegen gewesen, die zusammen mindestens 160 kg wogen!
Die Menschen des ersten, zweiten und dritten Bandes der Enzyklopädie schöpften neue Hoffnung. Wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gab, war noch nichts verloren.
Maximilien schlug vor Wut mit der Faust gegen die Wand.
225. GEDÄCHTNISPHEROMON: DIE LOGIK DER FINGER
Registratorin Nr. 10 LOGIK:
Die Logik ist ein sehr originelles Konzept der Finger.
Als logisch werden Ereignisse bezeichnet, wenn sie so ablaufen, daß es für die Gesellschaft der Finger akzeptabel ist.
Beispiel: Für einen Finger ist es logisch, daß manche Bewohner einer Stadt, wo es reichlich Nahrung gibt, verhungern, ohne daß ihnen jemand hilft.
Hingegen ist es für sie nicht logisch, jenen nichts zu essen zu geben, die durch einen Überfluß an Nahrung krank sind.
Für die Finger ist es logisch, Nahrung auf die Müllhalde zu werfen, auch wenn sie nicht verdorben ist.
Hingegen ist es unlogisch, diese Nahrung an jene zu verteilen, die sie gern essen würden. Um ganz sicher zu sein, daß niemand ihre Abfälle anrührt, werden diese verbrannt.
226. EIN WIEDERSEHEN
Das Gericht verließ den Saal; ein Polizist konnte gerade noch einen der Beisitzer einholen. Er hielt das Reagenzglas mit Nr.
103 in der Hand.
»Und was mache ich mit dieser Angeklagten? Ich kann sie doch nicht zusammen mit
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