Die Revolution der Ameisen
von Ameisen beweisen?« fragte der Vorsitzende, während er sich nachdenklich den graumelierten Bart rieb.
»Und wie soll man die Intelligenz oder Nichtintelligenz von Fingern beweisen?« konterte Nr. 103.
»Worauf es ankommt, ist doch im Grunde nur, welche der beiden Arten intelligenter ist«, meinte einer der Beisitzer, »und das müßte man irgendwie testen können.«
Ein Geschworener hob die Hand, was sehr selten vorkam.
»Wenn ich mir erlauben darf … Ich liebe Denkspiele aller Art«, sagte er, es handelte sich um einen Briefträger im Ruhestand. »Schach, Kreuzworträtsel, Wortspiele, Rätsel, Bridge, Schreibspiele … Sie eignen sich meiner Ansicht nach hervorragend dazu, herauszufinden, wer intelligenter ist. Man müßte nur ein Spiel erfinden, bei dem eine Ameise die gleichen Erfolgschancen wie ein Mensch hat.« Die Idee gefiel dem Publikum, und der Richter wußte, daß auch die Fernsehzuschauer davon begeistert wären. Eine ausgezeichnete Publicity … Dieser Prozeß könnte wirklich sein größter Erfolg werden …
»Welche Art von Spiel schwebt Ihnen denn vor?« fragte er den Geschworenen.
228. ENZYKLOPÄDIE
Die Strategie des Pferdes: Im Jahre 1904 gerieten Wissenschaftler aus aller Herren Ländern in helle Aufregung.
Man glaubte, endlich ein Tier gefunden zu haben, das genauso intelligent wie ein Mensch war. Es handelte sich um ein achtjähriges Pferd, das von einem österreichischen Gelehrten, Professor von Osten, ausgebildet worden war. Zur großen Überraschung aller Besucher schien Hans, das Pferd, die moderne Mathematik verstanden zu haben. Es konnte Gleichungen lösen, die genaue Uhrzeit angeben, auf Fotos Menschen wiedererkennen, die es einige Tage zuvor gesehen hatte, und logische Probleme bewältigen.
Hans deutete mit der Hufkante auf Gegenstände und stampfte mit dem Huf, um Zahlen auszudrücken. Wenn Hans Wörter bilden wollte, stampfte er jeden Buchstaben: ein Stampfer für
›a‹, zwei für ›b‹, drei für ›c‹ usw.
Das Pferd wurde allen möglichen Experimenten unterzogen und bewährte sich jedesmal. Zoologen, Biologen, Physiker, Psychologen und Psychiater aus aller Welt kamen nach Österreich, um Hans zu beobachten. Bei ihrer Ankunft waren sie meistens sehr skeptisch, und bei der Abreise waren sie völlig verwirrt. Ein Täuschungsmanöver schien völlig ausgeschlossen zu sein, und so mußten sie notgedrungen zugeben, daß dieses Pferd wirklich ›intelligent‹ war.
Am 12. September 1904 veröffentlichte eine Gruppe von dreizehn Experten einen Bericht, in dem bestätigt wurde, daß Betrug in diesem Falle nicht möglich sei. Allmählich gewöhnte sich die wissenschaftliche Welt daran, daß dieses Pferd tatsächlich genauso intelligent wie ein Mensch war.
Oskar Pfungst, einer der Assistenten des Professors von Osten, kam schließlich hinter des Rätsels Lösung. Er beobachtete, daß Hans falsche Antworten gab, wenn auch keine der anwesenden Personen die richtige Antwort auf die ihm gestellte Frage wußte. Genauso versagte er, wenn man ihm Scheuklappen anlegte, so daß er die Menschen nicht sehen konnte. Die einzige Erklärung bestand darin, daß Hans über eine hervorragende Beobachtungsgabe verfügte. Während er mit dem Huf stampfte, registrierte er die kleinste Veränderung im Verhalten der Menschen und spürte ihre Aufregung, wenn er sich der richtigen Lösung näherte.
Seine Konzentration wurde außerdem durch die Hoffnung auf einen besonderen Leckerbissen motiviert.
Als der Schwindel aufflog, waren die Wissenschaftler so wütend über ihre eigene Leichtgläubigkeit, daß sie von da an einen übertriebenen Skeptizismus an den Tag legten, wenn irgendein Experiment die Intelligenz der Tiere beweisen sollte.
Noch heute wird an vielen Universitäten das Pferd Hans als Paradebeispiel wissenschaftlichen Betrugs angeführt. Doch der arme Hans hatte weder soviel Ruhm noch soviel Tadel verdient. Immerhin konnte dieses Pferd das menschliche Verhalten so perfekt entschlüsseln, daß Menschen es zeitweilig für gleichwertig hielten.
Möglicherweise gibt es eine tiefere Ursache für diesen Groll auf Hans: Es ist den Menschen unangenehm, von einem Tier durchschaut zu werden.
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
229. BEGEGNUNG AUF DEN STUFEN
Der Geschworene, der sich für Denkspiele begeisterte, erfand einen Test, den sowohl das Gericht als auch die Verteidigung für fair hielten.
Nun mußten nur noch die beiden Kandidaten
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