Die Revolution der Ameisen
den Menschen in die grüne Minna stecken.«
Der Beisitzer blickte gereizt zur Decke empor.
»Was weiß ich? Werfen Sie sie zu den anderen Ameisen. Mit der gelben Markierung auf der Stirn ist sie ja leicht wiederzufinden.«
Der Polizist hob den Deckel des Terrariums etwas an und drehte das Reagenzglas um. Die Prinzessin fiel vom Himmel auf ihre Gefährtinnen herab.
Die gefangenen Ameisen freuten sich, daß ihre Heldin wieder bei ihnen war. Nach etlichen Trophallaxien versammelte man sich zu einer Besprechung.
Unter den Gefangenen befanden sich auch Nr. 10 und Nr. 5.
Als sie gesehen hatten, daß die Finger Ameisen in Säcke packten, waren sie rasch hineingeklettert, weil sie dachten, es wären Einladungen in die Welt dieser Riesen.
»Ich glaube, sie sind fest entschlossen, uns zu töten, was immer wir auch machen«, sagte eine Soldatin, die zwei Hinterbeine verloren hatte, als die Polizisten sie grob in einen der Säcke geworfen hatten.
»Was soll’s? Wenigstens haben wir vorher Gelegenheit, in ihrer Welt unsere Argumente vorzubringen und unsere Lebensweise zu verteidigen.«
Aus einer Ecke kam eine kleine Ameise auf sie zugestürzt.
Nr. 24!
Also hatte diese unbesonnene Ameise sich diesmal ausnahmsweise in die richtige Richtung verirrt. Die Prinzessin vergaß die schlimmen Bedingungen, unter denen dieses Wiedersehen stattfand, und umarmte ihren Prinzen.
Wie schön es war, vereint zu sein! Nr. 103 hatte längst begriffen, was ›Kunst‹ war, und jetzt begriff sie allmählich auch, was ›Liebe‹ bedeutete.
Liebe ist, wenn man jemanden liebt und verliert und dann wiederfindet, dachte sie.
Prinz Nr. 24 schmiegte sich eng an sie und wünschte sich eine Absolute Kommunikation.
227. INTELLIGENZ
Der Vorsitzende schlug mit seinem Hämmerchen auf den Tisch. »Wir verlangen objektive Beweise für ihre Intelligenz.«
»Die Ameisen können alle Probleme lösen, mit denen sie zu tun haben«, erwiderte Julie.
Der Staatsanwalt zuckte die Schultern. »Sie kennen nicht einmal die Hälfte unserer Technologien, nicht einmal das Feuer.«
Prinzessin Nr. 103 stellte sich auf die vier hinteren Beine, um ihren Pheromonen mehr Gewicht zu verleihen. Der Computer übersetzte ihre ziemlich lange Rede:
»Die Ameisen haben das Feuer früher gekannt und bei Kriegen eingesetzt, aber eines Tages ist dabei ein großer Brand ausgebrochen, der alles zerstört hat. Daraufhin haben alle Insekten einmütig beschlossen, kein Feuer mehr anzurühren und all jene zu verbannen, die diese schreckliche Waffe verwenden …«
»Aha, da sieht man es ja! Zu dumm, um mit Feuer umgehen zu können!« höhnte der Staatsanwalt, doch die Maschine blinkte schon wieder.
»Während meines Friedensmarsches in eure Welt habe ich meinen Schwestern aber erklärt, das uns das Feuer, wenn man vernünftig damit umgeht, den Weg zu fortschrittlichen Technologien bahnen könnte.«
»Das beweist noch lange nicht, daß ihr Ameisen intelligent seid, nur, daß ihr gelegentlich unsere Intelligenz nachzuahmen versteht.«
Es war nicht zu übersehen, daß die Ameise wütend war. Sie trommelte mit den Fühlern heftig auf die Plastiksonden ein.
»ABER WAS BEWEIST EIGENTLICH EUCH FINGERN,
DASS IHR INTELLIGENT SEID?«
Unruhe im Saal. Hier und dort verhaltenes Lachen.
»Ich weiß genau, nach welchen Kriterien ihr entscheidet, ob ein Tier intelligent ist – es muß euch möglichst ähnlich sein.«
Alle Blicke waren auf die große Leinwand gerichtet. Das Gesicht und die Augen des Insekts schienen völlig unbeweglich, aber dafür waren die Bewegungen von Fühlern, Kiefer und Mandibeln so ausdrucksvoll, daß jeder sie nach und nach interpretieren konnte.
Aufgerichtete Fühler verrieten Erstaunen, schrägstehende den Wunsch, andere zu überzeugen. Rechter Fühler nach vorne, linker Fühler nach hinten: Aufmerksamkeit. Nach unten hängende Fühler: Enttäuschung. Fühler zwischen den Mandibeln: Entspannung.
Im Augenblick waren die Fühler von Nr. 103 halb aufgerichtet.
»Für uns seid ihr die Dummen, und wir sind die Intelligenten. Nur eine dritte Tierart – weder Finger noch Ameise – könnte ein objektives Urteil über uns abgeben.«
Alle waren sich darüber im klaren, daß die Lösung dieses Problems von entscheidender Bedeutung war. Wenn die Ameisen intelligente Wesen waren, konnten sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden. Wenn nicht, waren sie genauso schuldunfähig wie Geisteskranke oder Kinder.
»Wie soll man die Intelligenz oder Nichtintelligenz
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