Die Revolution der Ameisen
verstehen ist. Auch in diesem Fall müsse man ihr einfach aufs Wort glauben. Dank dem Fernsehen habe sie, ohne sich von der Stelle rühren zu müssen, alles über die Welt der Finger erfahren. Und eines Tages habe sie in einer Regionalsendung ein weißes Schild gesehen, nicht sehr weit von der großen Ameisenstadt Belokan entfernt.
Die zwölf Soldatinnen richten überrascht ihre Fühler auf.
» Was ist das – ein Schild?«
Nr. 103 683 erklärt: Wenn die Finger irgendwo weiße Schilder aufstellen, so bedeutet das, daß sie demnächst Bäume fällen, Ameisenstädte verwüsten und alles plattwalzen werden.
Meistens kündigen diese weißen Schilder den Bau eines ihrer kubischen Nester an. Sie stellen ein solches Schild auf, und bald ist die ganze Region eine kahle Wüste ohne Gras, auf der dann das Fingernest errichtet wird.
Das wird bald beginnen, und deshalb muß Bel-o-kan um jeden Preis gewarnt werden, bevor die Arbeiten beginnen, die Zerstörung und Tod nach sich ziehen.
Die zwölf Kundschafterinnen überlegen.
Bei den Ameisen gibt es keinen Chef, keine Hierarchie, keine Befehle, keine Verpflichtung zum Gehorsam. Jeder macht, was er will und wann er will. Die zwölf beraten. Diese alte Ameise hat ihnen soeben mitgeteilt, ihre Geburtsstadt sei in Gefahr. Da darf man nicht lange fackeln! Sie verzichten darauf, das Ende der Welt zu erforschen, und beschließen, rasch nach Bel-o-kan zurückzukehren, um ihre Schwestern vor der Gefahr zu warnen, die jenes schreckliche ›Schild der Finger‹ darstellt.
Vorwärts in Richtung Südwesten!
Doch obwohl es noch warm ist, bricht schon die Dämmerung herein. Es ist viel zu spät, um sich auf den Weg zu machen. Die Ameisen schmiegen sich mit Beinen und Fühlern unter der Baumwurzel aneinander und genießen die gegenseitige Wärme. Dann senken sich ihre Fühler; sie schlafen ein und träumen von der merkwürdigen Welt der Finger, dieser Riesen, deren Köpfe sich angeblich irgendwo dort oben, zwischen den Baumwipfeln, befinden.
27. DIE MYSTERIÖSE PYRAMIDE WIRD ERWÄHNT
Kellner und Kellnerinnen hielten Einzug mit riesigen Platten.
Aus der Ferne überwachte der Oberkellner ihren Auftritt wie ein Ballettmeister und erteilte seine Befehle durch unauffällige Gesten.
Jede Platte war ein Kunstwerk.
Spanferkel mit erstarrtem Grinsen und einer schönen roten Tomate im Maul lagen dekorativ zwischen Bergen von Sauerkraut. Pralle Kapaune warfen sich stolz in die Brust, so als störte die Kastanienfüllung sie gar nicht. Kälber präsentierten ihre Filets, Hummer hielten sich bei den Scheren und bildeten einen fröhlichen Kreis über verführerische Gemüsebeilagen hinweg, garniert mit Mayonnaise.
Präfekt Dupeyron wollte einen Toast ausbringen. Gewichtig holte er seinen üblichen ›Partnerschaftszettel‹ hervor, der schon ziemlich abgegriffen und vergilbt war, weil er bei mehreren Diners mit ausländischen Botschaftern gute Dienste geleistet hatte, und verkündete:
»Ich erhebe mein Glas auf die Freundschaft zwischen den Völkern und auf die Verständigung zwischen allen Menschen guten Willens! Sie interessieren uns, und ich hoffe, daß auch wir Sie interessieren. Welche Sitten, Traditionen und Technologien wir auch haben mögen – ich glaube, daß wir uns gegenseitig bereichern können, um so mehr, je größer die Unterschiede sind …«
Endlich durften die ungeduldigen Gäste wieder Platz nehmen und sich auf ihre Teller konzentrieren. Während des Essens wurde wieder geplaudert und gescherzt. Der Bürgermeister von Hachinohe erzählte von einem seiner ungewöhnlichsten Einwohner. Es handelte sich um einen Eremiten, der ohne Arme zur Welt gekommen war, aber mit den Füßen sehr gut malen konnte. Man nannte ihn ›Herr der Zehen‹, denn er konnte mit ihnen nicht nur malen, sondern auch Bogenschießen und sich die Zähne putzen.
Die begeisterten Zuhörer wollten wissen, ob der Mann verheiratet sei. Der Bürgermeister verneinte. Der ›Herr der Zehen‹ habe aber viele Mätressen, und die Frauen seien aus unerfindlichen Gründen ganz verrückt nach ihm.
Präfekt Dupeyron wollte nicht zurückstehen und berichtete, auch in Fontainebleau gebe es Originale. Der extravaganteste unter ihnen sei aber zweifellos ein verrückter Gelehrter namens Edmond Wells gewesen. Dieser Pseudowissenschaftler habe seine Mitbürger davon überzeugen wollen, daß die Ameisen eine gleichwertige Zivilisation hätten und daß es für die Menschen von großem Interesse sein könnte, mit ihnen als
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