Die Revolution der Ameisen
wirklich nicht gefaßt. Jede Ameise, der gegenüber man die Finger erwähnt, ist begierig, weitere Informationen über sie zu erhalten. Und diese Papierwespen glaubten, schon alles über die Finger zu wissen! Welche Dekadenz! Zweifellos hat die Natur aus diesem Grunde Ameisen erschaffen. Die Wespen, ihre Vorfahren, haben ihre ursprüngliche Neugier eingebüßt.
Doch diese Überlegungen helfen Nr. 103 nicht weiter. Wenn die Papierwespen ihr nicht helfen, wenn sie sich weigern, ihr das ›Gelee royale‹ zu geben, ist alles aus. Welch ein Jammer, nach unzähligen heldenhaften Kämpfen dem armseligsten Gegner zu unterliegen: dem Alter.
Die Wespenkönigin kann sich eine letzte ironische Bemerkung nicht verkneifen: Selbst wenn Nr. 103 geschlechtsfähig würde, könnte sie nicht davon ausgehen, daß auch ihre Kinder das Talent hätten mit Fingern zu kommunizieren.
Nr. 103 sitzt in der Klemme.
Plötzlich bricht Unruhe aus. Nervöse Wespen melden der Königin, daß das Nest von einem Skorpion angegriffen wird.
Zweifellos ist auch er vor dem Heuschreckenschwarm geflüchtet und hat Zuflucht auf der Eiche gesucht. Normalerweise wehren Wespen alle Angreifer mit ihrem giftigen Stachel ab, aber gegen den Chitinpanzer der Skorpione sind sie machtlos.
Nr. 103 erklärt sich bereit, gegen den Feind zu kämpfen.
»Wenn es dir gelingt, ihn zu besiegen, geben wir dir, was du begehrst.«
Nr. 103 verläßt das Wespennest durch den röhrenförmigen Mittelgang und bewegt ihre Fühler. Am Geruch erkennt sie das Skorpionweibchen wieder, dem die Belokanerinnen in der Wüste begegnet sind. Jetzt kriechen 25 Babys auf ihrem Rücken herum und balgen miteinander.
Die alte rote Ameise greift das Skorpionweibchen auf einem terrassenförmigen Knorren der Eiche mit einem kräftigen Säurestrahl an. Für das Spinnentier ist die winzige Ameise kein ernstzunehmender Gegner, sondern eine leichte Beute. Es setzt seine Kinder behutsam ab und schlägt mit seinem tödlichen Stachel zu.
Zweites Spiel
PIK
61. ARBEIT AN DER MYSTERIÖSEN PYRAMIDE
Durchsichtige Spitze. Spiegelwände. Maximilien war wieder bei der mysteriösen Pyramide. Beim letztenmal war seine Inspektion durch einen Insektenstich unterbrochen worden, der ihn für eine knappe Stunde außer Gefecht gesetzt hatte. Heute war er fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Er näherte sich vorsichtig.
Er berührte die Pyramide.
Er legte sein Ohr an eine Spiegelwand und lauschte.
Ein Satz in französischer Sprache war zu hören: »Billy Joe, ich hatte dich doch gewarnt, daß du nie zurückkehren solltest!«
Wieder das Fernsehen. Offenbar ein amerikanischer Western.
Der Kommissar hatte genug gehört. Präfekt Dupeyron wünschte Resultate, und er würde sie erhalten. Maximilien hatte die nötigen Werkzeuge mitgebracht. Er öffnete seine große Tasche, holte einen Hammer hervor und schlug mit voller Wucht nach seinem eigenen Spiegelbild.
Mit ohrenbetäubendem Klirren zerbrach der Spiegel in scharfe Scherben. Vom darunterliegenden Beton stieg Staub auf. Maximilien sprang rasch zurück, um nicht von Splittern getroffen zu werden.
»Die sieben Jahre Pech muß ich eben in Kauf nehmen«, seufzte er.
Sobald die Staubwolke verflogen war, untersuchte er die Betonmauer. Immer noch weder Tür noch Fenster. Nur oben die durchsichtige Spitze.
Zwei Seiten der Pyramide waren noch mit Spiegeln verkleidet. Er zertrümmerte auch sie, ohne eine Öffnung zu entdecken, aber als er sein Ohr an den Beton preßte, war der Fernseher verstummt. Jemand reagierte auf seine Gegenwart.
Natürlich mußte es irgendwo einen Ausgang geben. Eine Klapptür oder Ähnliches … Wie hätte der Bewohner der Pyramide denn sonst hineinkommen sollen? Er warf ein Lasso um die Pyramidenspitze, und dank rutschfester Schuhsohlen gelang ihm der Aufstieg. Doch auch von oben konnte er nicht den geringsten Riß, nicht das kleinste Loch im Beton erkennen, nichts, was ihm ermöglicht hätte, den oder die Insassen auszuräuchern.
»Kommen Sie freiwillig heraus! Andernfalls garantiere ich Ihnen, daß wir ein Mittel finden werden, um Sie aus Ihrem Versteck zu vertreiben!«
Maximilien kletterte an seinem Seil wieder auf den Boden hinab. Er war nach wie vor überzeugt, daß ein Eremit in diesem Betonbau hauste. In Tibet ließen sich besonders fromme Mönche in winzige Ziegelhütten ohne Türen und Fenster einmauern und verharrten dort jahrelang in völliger Abgeschiedenheit. Aber bei jenen Mönchen blieb immerhin eine
Weitere Kostenlose Bücher