Die Revolution der Ameisen
konnte. Es war unmöglich, seine Schüler oder Untergebenen ins Vertrauen zu ziehen, denn das würde sofort als Zeichen von Schwäche ausgelegt werden. Genauso unmöglich war es, einen Dialog mit dem Präfekten zu führen, der sein Vorgesetzter war. Die Hierarchie isolierte alle Menschen voneinander … Und es war ihm auch nie gelungen, eine wirklich interessante Unterhaltung mit seiner Frau oder Tochter zu führen. Das einzige Kommunikationsmittel, das Maximilien zur Verfügung stand, war der Fernseher, der jede Menge hübscher Geschichten auf Lager hatte, dessen großer Nachteil aber darin bestand, daß man selbst ihm nichts erzählen konnte.
Vielleicht war die neue Generation von Computern imstande, diese Lücke zu füllen. Maximilien beugte sich über das Mikrofon, so als wolle er MacYavel etwas ins Ohr flüstern: »Es handelt sich um ein Bauwerk, das ohne Genehmigung in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Aus dem Innern dieser Pyramide sind Geräusche zu hören, die von Fernsehsendungen herzurühren scheinen, doch sobald ich an die Wand klopfe, verstummen sie sofort. Es gibt keine Tür, keine Fenster, nicht einmal das kleinste Loch. Ich möchte unbedingt wissen, wer sich dort versteckt.«
MacYavel stellte ihm einige konkrete Fragen, wobei sein Auge schmaler wurde, ein Zeichen größter Aufmerksamkeit.
Nach kurzem Nachdenken verkündete der Computer, er sehe nur eine Möglichkeit: die Pyramide zu sprengen.
Von behutsamem Vorgehen schienen Computer nicht viel zu halten.
Maximilien selbst hatte diese extreme Lösung bisher noch nicht ins Auge gefaßt, mußte aber zugeben, daß auch er schließlich zu diesem Entschluß gekommen wäre. MacYavel hatte seinen Denkprozeß nur beschleunigt. Der Kommissar bedankte sich bei der Maschine und wollte eine neue Partie Evolution spielen, aber das Gerät erinnerte ihn daran, daß er vergessen hatte, seine Fische zu füttern.
In diesem Augenblick wurde Maximilien klar, daß der Computer im Begriff stand, sein Freund zu werden, und das beunruhigte ihn ein wenig, denn er hatte noch nie einen wirklichen Freund gehabt.
67. DER SEXUELLE SCHATZ
Nr. 103 hat den Skorpion besiegt. Die kleinen verwaisten Skorpione, die von weitem zugeschaut haben, suchen hastig das Weite. Sie wissen, daß sie sich von nun an allein in einer Welt zurechtfinden müssen, in der nur auf ihren Giftstachel Verlaß ist.
Die zwölf Ameisen, die eingeladen worden sind, das Wespennest zu betreten, bereiten der alten Kämpferin olfaktorische Ovationen. Und die Königin der Papierwespen erklärt sich bereit, ihr das ›Gelee royale‹ zu geben. Sie führt Nr. 103 in einen Schlupfwinkel ihrer grauen Papierstadt und bittet sie, sich etwas zu gedulden.
Die Königin konzentriert sich und würgt einen braunen Speichel hoch, der sehr stark riecht. Bei Hautflüglern können Arbeiterinnen, Soldatinnen und Königinnen ihre interne Chemie perfekt kontrollieren. Sie sind in der Lage, ihre Hormonabsonderungen zu steigern oder zu reduzieren, je nachdem, was für ihre Verdauung, für Einschlafen, Schmerzempfindlichkeit und Sensibilität erforderlich ist.
Es gelingt der Wespenkönigin denn auch mühelos, das fast ausschließlich aus Sexualhormonen bestehende ›Gelee royale‹
zu produzieren.
Nr. 103 nähert sich und will mit ihren Fühlern daran riechen, bevor sie es probiert, doch die Wespenkönigin drängt sich an sie heran und zwingt sie zu einem Mund-an-Mund-Kontakt.
Ein Kuß zwischen zwei verschiedenen Insektenarten.
Die alte rote Ameise schluckt das Zaubermittel. Alle Wespen können dieses Gelee erzeugen, aber das einer Königin ist natürlich viel stärker als das einer einfachen Arbeiterin. Der Geruch ist so intensiv, daß sogar die anderen Belokanerinnen ihn wahrnehmen.
Die braune Substanz hat einen eigenartigen Geschmack, eine Mischung von süß, sauer, salzig und pikant. Sie löst sich im Magen von Nr. 103 auf, verteilt sich in ihrem Blut, strömt durch ihren Körper und erreicht das Gehirn.
Anfangs spürt sie überhaupt nichts und glaubt schon, das Experiment sei fehlgeschlagen. Doch dann schwankt sie plötzlich, so als wäre sie einem Sturm ausgesetzt. Es ist ein unangenehmes Gefühl.
Sie stirbt! Die Wespenkönigin hat ihr Gift gegeben, und sie hat es geschluckt! Es brennt wie Feuer in ihrem Innern, und sie bedauert zutiefst, der Königin vertraut zu haben. Schließlich weiß man ja, daß Wespen die Ameisen hassen, weil ihre genetischen Nachkommen ihnen überlegen sind.
Nr. 103 erinnert sich
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