Die Revolution der Ameisen
Augen zu öffnen:
» Wir sind die neuen Visionäre,
wir sind die neuen Erfinder.«
Das war er, der überzeugende Schluß!
»Super!« rief Zoé,
Sie diskutierten über ihr Erstlingswerk und waren damit zufrieden, bis auf das Gitarrensolo nach der dritten Strophe.
Alle stimmten mit David überein, daß man sich hier etwas anderes einfallen lassen müsse.
Insgesamt waren sie aber sehr stolz auf sich. Julie wischte sich den Schweiß von der Stirn und schlüpfte hastig wieder in ihren unförmigen Pulli, weil es ihr peinlich war, daß die anderen sie im T-Shirt gesehen hatten. Um sie abzulenken, berichtete sie, daß Töne auch heilen könnten. Ihr Gesangslehrer habe ihr das beigebracht.
»Wie funktioniert das?« fragte Paul, der sich für alles interessierte, was mit Tönen zusammenhing. »Zeig es uns.«
Julie erklärte, daß beispielsweise ein ›O‹ in tiefer Tonlage auf den Bauch einwirke.
»Oooooh – das läßt die Därme vibrieren. Wenn ihr Verdauungsprobleme habt, müßt ihr diesen Ton singen.
›Oooooh‹. Das ist billiger als Medikamente und immer verfügbar. Jeder von uns kann Töne erzeugen.«
Die Sieben Zwerge stimmten ein schönes ›Oooooh‹ an und versuchten, die Auswirkungen auf ihren Organismus zu registrieren.
»Der Ton ›A‹ wirkt auf Herz und Lungen ein. Wenn man außer Atem ist, bildet man ihn automatisch.«
Sie atmeten im Chor: »Aaaaaaah.«
»Das ›E‹ wirkt auf die Kehle ein, das ›U‹ auf Mund und Nase, das ›I‹ auf Gehirn und Schädel. Ihr müßt jeden Laut sorgfältig bilden und eure Organe vibrieren lassen.«
Sie wiederholten jeden Vokal, und Paul schlug vor, daraus ein therapeutisches Lied zu machen, das die Leiden der Zuhörer lindern könne.
»Er hat recht!« rief David begeistert. »Wir könnten ein Lied aus lauter Ooohs, Aaahs und Uuuhs komponieren.«
»Und beruhigenden Infraschall als Untermalung nehmen«, fügte Zoé hinzu. »Die heilende Musik – ein guter Slogan!«
»Es wäre etwas völlig Neues.«
»Soll das ein Witz sein?« spöttelte Léopold. »Das ist schon seit der Antike bekannt. Was meinst du wohl, warum unsere Indianergesänge nur auf Vokalen basieren, die endlos wiederholt werden?«
Ji-woong bestätigte, daß es auch in der koreanischen Tradition Lieder gebe, die nur aus Vokalen bestünden.
Sie beschlossen, ein solches Stück auszuarbeiten, und wollten sich gerade ans Werk machen, als lautes Pochen sie aufschreckte.
Paul öffnete die Tür.
»Sie machen zuviel Lärm«, beschwerte sich der Direktor.
Es war erst 20 Uhr. Sie durften normalerweise bis halb zehn proben, aber an diesem Tag hatten sie den Direktor gestört, der länger als sonst in seinem Büro geblieben war, um Verwaltungskram zu erledigen.
Er betrat den Raum und musterte die acht Musiker.
»Ich war gezwungen, euch zuzuhören. Daß ihr auch eigene Lieder macht, wußte ich bisher gar nicht, und es hört sich gar nicht übel an. Vielleicht trifft sich das ganz gut.«
Er setzte sich rittlings auf einen Stuhl und fuhr fort: »Mein Bruder weiht im Stadtviertel François I ein Kulturzentrum ein und braucht dazu ein Rahmenprogramm. Er hatte ein Streichquartett engagiert, aber zwei der Musiker sind an Grippe erkrankt, und deshalb sucht er seit gestern nach Ersatz. Wenn er niemanden findet, muß die Eröffnung des Zentrums verschoben werden, was aber einen schlechten Eindruck im Rathaus machen würde. Sie könnten ihm aus der Patsche helfen. Hätten Sie nicht Lust, dort zu spielen?«
Die acht jungen Leute tauschten ungläubige Blicke. Konnten sie wirklich soviel Glück haben?
»Na klar!« rief Ji-woong.
»Ausgezeichnet, dann üben Sie jetzt fleißig weiter. Sie treten am nächsten Samstag auf.«
»Den kommenden Samstag?«
»Selbstverständlich.«
Paul wollte sagen, das sei ausgeschlossen, weil sie bis jetzt nur ein einziges selbstverfaßtes Lied im Repertoire hätten, aber Ji-woongs beredter Blick gebot ihm Schweigen.
»Gar kein Problem«, beteuerte Zoé.
Sie waren sowohl besorgt als auch begeistert. Endlich würden sie vor richtigem Publikum auftreten, nicht nur bei irgendwelchen Feiern im kleinen Kreis.
»Großartig«, sagte der Direktor. »Ich verlasse mich darauf, daß Sie für Stimmung sorgen.« Er zwinkerte ihnen komplizenhaft zu.
Vor Überraschung rutschte Francines Ellbogen über die Tastatur ihrer Orgel, was sich wie Kanonendonner anhörte.
65. ENZYKLOPÄDIE
Der Kanon: In der Musik hat der Kanon einen besonders interessanten Aufbau. Die bekanntesten
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