Die Richter des Königs (German Edition)
der Finger und Zehen: Peckham war unter schmerzhaften Krämpfen gestorben.
Trelawney stieß einen tiefen Seufzer aus. Wieder traf ihn ein besorgter Blick aus Alans bleigrauen Augen. Und wieder nickte der Richter störrisch wie ein Kind, das entgegen alle Vernunft seinen Mut beweisen will.
Alan schüttelte missbilligend den Kopf und beugte sich mit einem Messer in der feingliedrigen Hand über den Toten. Zuerst machte er mit der Spitze der Klinge einen Einschnitt in das Bauchfell des Leichnams. Dann schob er zwei Finger in das so entstandene Loch und löste die Bauchdecke von den Eingeweiden, um sie beim Aufschneiden nicht zu verletzten. Als der Bauch auseinander klaffte, wurde unter der Haut die gelbe Fettschicht sichtbar. Es folgte ein zweiter horizontaler Schnitt, so dass die Form eines Kreuzes entstand.
Der Wundarzt entfernte nacheinander Milz, Nieren, Zwölffingerdarm und Magen und schnitt jedes Organ auf. Im Innern des Magens befand sich ein dunkelgrauer Rückstand, außerdem waren die Wände stark entzündet. Daraufhin öffnete Alan auch den Schlund und die Speiseröhre, die ebenfalls eine auffällige Rötung zeigten. Der Arzt und die Chirurgen kamen überein, dass der Baron unzweifelhaft an einer giftigen Substanz gestorben war, konnten jedoch nicht sagen, worum es sich dabei handelte. Alan nahm eine Probe des Mageninhalts, bevor er die Organe in den Körper zurücklegte und ihn wieder zunähte.
Trelawney hatte schweigend zugesehen und sich in die Diskussion nicht eingemischt. Unter seiner langen blonden Perücke war er so bleich geworden wie der Tote.
Alan fragte sich unwillkürlich, weshalb der Richter sich zugemutet hatte, der Zergliederung eines Freundes zuzusehen, obwohl es nicht zu seinen Pflichten gehörte. Aber Sir Orlando war für seine Gewissenhaftigkeit bekannt. Er überzeugte sich lieber mit eigenen Augen, als sich auf die Aussagen anderer zu verlassen. Trelawney gehörte zu den Menschen, die strenge Prinzipien hatten und diesen auch in schwierigen Zeiten treu blieben. Sein Vater, ein Landedelmann aus Cornwall, hatte ihn als Kind auf die St.-Paul’s-Schule in London und später auf das Emanuel College in Cambridge geschickt. Darauf folgte ein Studium der Jurisprudenz am Inner Temple. Der Bürgerkrieg zwischen König und Parlament machte Trelawneys Laufbahn als Advokat jedoch ein frühzeitiges Ende. Er diente zwei Jahre als Offizier im königlichen Heer, bevor er gefangen genommen wurde und einige Zeit im Tower verbringen musste. Nach der Hinrichtung König Charles’ I. übernahm Oliver Cromwell die Macht und verwandelte England in eine Republik. Als Royalist konnte Trelawney seine Regierung nicht als gesetzmäßig anerkennen und arbeitete fortan zurückgezogen als außeramtlicher Rechtsberater. Bei der Wiederherstellung der Monarchie im Jahre 1660 belohnte der neue König Charles II. diese Loyalität, indem er Trelawney und einige andere Juristen bei den Gerichtsverfahren gegen die Königsmörder zu Vertretern der Anklage berief. Danach wurde er zum Richter des Court of King’s Bench, des Königlichen Gerichtshofs, ernannt und erhielt den Ritterschlag. Seitdem galt er nicht nur in London als unbestechlicher Richter, dem das Schicksal der Angeklagten, die vor ihm erschienen, nicht gleichgültig war – eine Seltenheit in dieser Zeit!
Und aus diesem Grunde schätzte auch Alan ihn sehr.
Zweites Kapitel
E s dämmerte bereits, als Sir Orlando Trelawney sich durch die unbeleuchteten Gassen von St. Clement Danes auf den Heimweg machte. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und sprühte ihm ins Gesicht, so dass er seinen Hut tiefer in die Stirn zog und sich enger in seinen Umhang schmiegte. Eine Weile stapfte er tief in Gedanken versunken dahin, bis er bemerkte, dass er in die falsche Richtung ging. Verwirrt blieb er vor einem Misthaufen stehen, auf dem eine tote Ratte lag, und versuchte, sich darüber klar zu werden, wo er sich befand. Es gelang ihm nicht. In seinem Innern herrschte eine quälende Leere, die seinen ganzen Körper lähmte und jede Bewegung zu einer Kraftanstrengung werden ließ.
Der Tod! Überall zeigte er sein höhnisches Gesicht, seine grinsende Fratze. Sicher, die Nähe des Todes war nichts Ungewöhnliches für ihn. In der Zeit, in der er lebte, begegnete man ihm ständig. Kriege, Seuchen, Hinrichtungen – er hatte alles miterlebt. Es gab keine Gewähr, ein hohes Alter zu erreichen, und unter den Schwächsten, den Kindern, hielt der Tod die reichste Ernte. Ja,
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