Die Richter des Königs (German Edition)
zu seinem Schlafgemach hinauf. Seine Nichte und die Dienerschaft schliefen friedlich. Niemanden kümmerte es, ob er da war oder nicht. Abgrundtiefe Müdigkeit überkam den Richter, als er sich auf die Kante des Baldachinbettes sinken ließ und sich umständlich die Schuhe auszog.
Da öffnete sich leise die Tür, und sein Kammerdiener Malory huschte verschlafen herein, um ihm beim Auskleiden zu helfen. Der mitleidige Blick, den Malory seinem Herrn zuwarf, führte Trelawney seine ganze Erbärmlichkeit so schmerzhaft vor Augen, dass er gereizt einen seiner schlammbeschmutzten Schuhe ergriff und nach dem Kammerdiener warf.
»Verschwinde! Lass mich allein!«, brüllte er. »Lass mich allein!«
Malory gehorchte schweigend, jedoch nicht, ohne den Richter mit einem weiteren mitfühlenden Blick zu bedenken. Trelawney barg schluchzend das Gesicht in den Händen. Dann ließ er sich, bekleidet wie er war, aufs Bett sinken und fiel in unruhigen Schlaf.
Ein unangenehmes Jucken am ganzen Körper weckte ihn. Ohne sich dessen bewusst zu sein, kratzte er sich die Haut blutig.
Es war bereits heller Tag. Als Trelawney verwirrt um sich blickte, bemerkte er, dass seine Kleider über Nacht ein Eigenleben entwickelt hatten. Etwas bewegte sich in den Falten des Stoffs, kroch unter sein Wams, dann zwischen sein Leinenhemd und seine Haut, verbiss sich in seinem Fleisch und saugte gierig sein Blut. Mit einem jähen Gefühl des Ekels sprang der Richter vom Bett, zerrte sich Perücke und Kleider vom Leib und schleuderte sie auf den Boden. Jedes einzelne Stück wimmelte vor Läusen.
Trelawney konnte einen saftigen Fluch nicht unterdrücken. Er hasste die kleinen Quälgeister und achtete stets auf Reinlichkeit, um sie sich vom Hals zu halten. Folglich konnte er sich das Ungeziefer nur bei seinem gestrigen Besuch in der Schenke geholt haben. Das war nun die Strafe für seine gottlose Trunkenheit, in der er vergeblich Vergessen gesucht hatte.
Trelawney wollte gerade nach seinem Kammerdiener rufen, als sein Blick an den übereinander geworfenen Kleidern hängen blieb. Vorsichtig zog er Hemd und Wams, die zuoberst lagen, beiseite und betrachtete verwirrt den Umhang. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es nicht der seine war, sondern ein fremder. Und da begriff er auch, wie er sich die Läuse geholt hatte. Er musste beim Verlassen der Schenke aus Versehen den Mantel eines anderen Gastes statt seines eigenen mitgenommen haben. Die Dunkelheit und sein benebelter Geist hatten ihn daran gehindert, den Irrtum zu bemerken. Er hatte sich die Unannehmlichkeiten also selbst zuzuschreiben.
Ärgerlich rief er nach Malory und versuchte, das quälende Jucken zu ignorieren, das die Bisse der lästigen Plagegeister überall an seinem Körper auslösten. Doch es war sinnlos. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er sich gegen seinen Willen kratzte, bis seine Haut mit Schrammen bedeckt war.
Drittes Kapitel
A m frühen Morgen machte sich Alan zur »Pfauenschenke« auf. An der Tür blieb er stehen, um nach seinem Freund Ausschau zu halten, und entdeckte ihn schließlich an einem Tisch im hinteren Bereich des Schankraums. Zu Alans Überraschung war er nicht allein, sondern befand sich im Gespräch mit einer Frau, die einen langen Kapuzenmantel trug. Ihr Gesicht war hinter einer schwarzen Samtmaske verborgen. Schon seit längerer Zeit war es für Damen unterschiedlichen Standes Mode, maskiert auf die Straße zu gehen. Einerseits ermöglichte ihnen dies, unerkannt zu bleiben, andererseits schützten sie so ihre Haut vor der bräunenden Sonne.
Als Alan fasziniert näher trat, wandte sich die Frau gerade zum Gehen. Beim Verlassen des Schankraums streifte ihr Umhang leicht Alans Hand. Dabei nahm er den betörenden Duft eines teuren Parfüms wahr. Und da er immer nur eines im Sinn hatte, vermutete er sogleich, dass sie die Mätresse seines Freundes war, obwohl eine heimliche Liebschaft gar nicht zu Jeremy Blackshaw passte, den er früher nur als Kostverächter gekannt hatte. Außerdem verwirrte es ihn, dass die Maskierte mehr den Eindruck einer vornehmen Dame machte als einer auf Abwege geratenen Bürgersfrau. Brennend vor Neugier trat Alan an den Tisch seines Freundes und setzte sich zu ihm.
»Wie ich sehe, hattet Ihr Besuch. Wer ist die schöne Unbekannte?«
»Woher wollt Ihr wissen, dass sie schön ist?«, meinte Jeremy spöttisch. »Ihr habt ihr Gesicht doch gar nicht gesehen.«
»Dafür habe ich eine Nase«, sagte Alan und tippte sich grinsend an dieselbe.
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