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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Brüste regelrecht aus dem Mieder, und Alan konnte nicht widerstehen, sie mit den Händen aufzufangen. Die Milchmagd zuckte nicht zurück, sondern kicherte vergnügt, denn sie war seine forsche Art gewöhnt.
    »Aber, aber, Meister Ridgeway«, gluckste sie, während er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab.
    Obwohl schon sechsunddreißig Jahre alt und in der Chirurgengilde fest etabliert, war Alan noch immer Junggeselle. Trotzdem dachte er nicht daran, ein keusches Leben zu führen. Die junge Milchmagd war eine von mehreren willigen Frauen in der Nachbarschaft, mit denen er hin und wieder ein Schäferstündchen verbrachte. Dafür behandelte er sie kostenlos, wenn sie Beschwerden hatten.
    Alan wollte eben seinen Weg fortsetzen, als eine vertraute Stimme in seinem Rücken erklang: »Ihr seid wirklich unverbesserlich. Noch immer derselbe Schürzenjäger!«
    Überrascht fuhr Alan herum und betrachtete mit gerunzelter Stirn den ganz in Schwarz gekleideten Mann, der hinter ihm stand. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Prediger oder ein Kaufmann mit puritanischen Prinzipien, denn seine strenge dunkle Aufmachung wurde nur von einem schlichten weißen Leinenkragen aufgehellt. Doch der Schein trog. Alan wusste, dass der Mann, wie er selbst auch, dem römisch-katholischen Glauben angehörte, denn er erkannte in ihm einen alten Kameraden aus dem Bürgerkrieg.
    »Jeremy! Jeremy Blackshaw! Aber wie ist das möglich? Ich glaubte Euch seit langem tot! Seit der Schlacht von Worcester vor dreizehn Jahren, um genau zu sein.«
    »Wie Ihr seht, bin ich am Leben«, erwiderte der andere lächelnd. »Aber ich war lange auf Reisen und bin erst vor zwei Jahren nach England zurückgekehrt.«
    Alan strahlte vor Freude über das ganze Gesicht und umarmte seinen lang vermissten Freund. Sie hatten beide in der royalistischen Armee als Feldscher gedient. Nach der Schlacht von Worcester im Jahre 1651, bei der Alan von den Anhängern des Parlaments gefangen genommen worden war, hatten sie sich aus den Augen verloren. Es erschien ihm wie ein Wunder, den Kameraden von damals lebendig wiederzusehen.
    »Wo wohnt Ihr?«, fragte Alan wissbegierig.
    »Im Moment in der ›Pfauenschenke‹.«
    »Dann nehmt morgen früh mit mir dort den Morgentrunk ein. Ich möchte hören, wie es Euch in all der Zeit ergangen ist. Leider bin ich sehr in Eile, sonst hätte ich Euch gebeten, mit mir essen zu gehen. Aber ich muss zu einer Sektion.«
    Jeremy Blackshaw zog interessiert die Augenbrauen hoch. »Eine Anatomievorlesung?«
    »Nein, es geht um einen mysteriösen Todesfall. Der Leichenbeschauer hat eine Untersuchung angeordnet.«
    »Ich verstehe. Treffen wir uns also morgen in der ›Pfauenschenke‹. Sicher werdet Ihr mir ebenso viel zu erzählen haben wie ich Euch.«
    Alan eilte mit einem Lächeln auf den Lippen davon. Er hatte die Neugierde in Jeremys Augen aufblitzen sehen, ein Ausdruck, der ihm vertraut war, denn sein alter Freund hatte schon damals nichts so sehr geliebt wie ein kniffliges Rätsel. Und er hatte auch von jeher eine besondere Begabung gehabt, Probleme allein durch logische Schlussfolgerungen zu lösen.

    Die Leichenschau wurde im Hinterzimmer einer Schenke durchgeführt. Hier würde später auch die Anhörung stattfinden, bei der eine Jury nach Betrachtung der Tatbestände über die Todesursache entschied. So war es in England Brauch. Bei Alans Eintreffen waren bereits drei Männer anwesend: ein Chirurg, der ihm zur Hand gehen sollte, ein akademisch ausgebildeter Arzt und der Leichenbeschauer John Turner. Die Medizin teilte sich schon seit mehreren hundert Jahren in zwei Aufgabenbereiche: Während die handwerklich ausgebildeten und in Zünften organisierten Wundärzte nur äußerliche Behandlungen durchführten, widmeten sich die Doctores, die an der Universität studiert hatten, den inneren Krankheiten. So würde auch bei der Untersuchung des Leichnams Dr. Wilson die Chirurgen nur aus dem Hintergrund beaufsichtigen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Doch Alan war die Hochnäsigkeit der studierten Ärzte gewöhnt und bemühte sich, sie zu ignorieren. Man wartete nur noch auf den Richter Sir Orlando Trelawney, der darauf bestanden hatte, der Sektion beizuwohnen.
    Der Tote lag aufgebahrt auf einem groben Holztisch nahe der Fenster. Alan und der andere Chirurg machten sich daran, ihn zu entkleiden und zu waschen, als der Richter in der Tür erschien. Trelawney war ein ungewöhnlich hoch gewachsener Mann mit kräftigem

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