Die Risikoluege
Untersuchung des neben der Challenger-Katastrophe schwersten Unglücks in der Geschichte der bemannten Raumfahrt offenbarte eine Raumfahrtbehörde, der mehr an der Einhaltung von Zeitplänen und Öffentlichkeitsarbeit gelegen war als an Sicherheit und vertretbaren und jedermann verständlichen Entscheidungen. Der frühere Shuttle-Astronaut und spätere Politiker Bill Nelson machte »die Arroganz des NASA-Managements« für beide Katastrophen verantwortlich.
Am 8. Juli 2011, um 17.29 Uhr MESZ, startete vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral im Bundesstaat Florida zum letzten Mal eine US-Raumfähre - Shuttle Atlantis – ins All und kehrte am 20. Juli um 11.57 Uhr MESZ wohlbehalten zur Erde zurück, genau am 42. Jahrestag der Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin. Nach insgesamt 135 Missionen, die jeweils 450 Millionen Dollar kosteten, wurde damit das Kapitel »Space Shuttle«, das vor 30 Jahren, am 12. April 1981, begonnen hatte, geschlossen.
Das Raumfahrtprogramm der NASA ist ein klassisches Beispiel dafür, wie große nationale Prestigeprojekte, die eigentlich nicht finanzierbar sind, auf Kosten von Sicherheit dann schließlich doch durchgezogen werden. Das Shuttle sollte alles können und gleichzeitig möglichst wenig kosten. Weil die NASA keine Wahl hatte, kam es zur Billiglösung. Das war der Geburtsfehler der Shuttle-Katastrophen.
Das amerikanische Raumfahrtprogramm war ein Kapitel voller Höhepunkte und beeindruckender wissenschaftlicher, technischer und vor allem menschlicher Leistungen, aber mit dem Apollo-Unglück sowie der Challenger- und der Columbia-Katastrophe auch ein Kapitel schmerzlicher Erfahrungen.
Leider sind diese beiden Ereignisse Beispiele dafür, wie die Ursachen für Unglücke und Katastrophen vielfach nicht in der Technik selbst und ihrer Beherrschbarkeit, sondern auch in anderen Faktoren zu suchen sind. Und diese sind, neben menschlicher Fehlbarkeit, eben auch Hybris und Machtdemonstration, Sorglosigkeit, Arroganz, Prestigedenken und Verantwortungslosigkeit.
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Das Unwahrscheinliche ist eingetroffen
Der Super-GAU von Tschernobyl, Ukraine
26.4.1986
Der Super-GAU im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl war für die Welt Schock und Auslöser einer seither nicht enden wollenden Diskussion über Chancen und Risiken der friedlichen Nutzung der Kernenergie.
Am 26. April 1986 kam es in Block 4 an einem Reaktor zur Kernschmelze und zur Explosion des Reaktormantels. Da ein druckfester Sicherheitsbehälter fehlte, wurden Trümmer und spaltbares Material ins Freie geschleudert. In den Flammen stiegen die radioaktiven Partikel kilometerhoch auf. Der Reaktor, der zur zweiten Generation der grafitmoderierten Druckröhren-Siedewasser-Reaktoren gehörte, besaß eine Leistung von 1 Gigawatt (1 Milliarde Watt).
Ausgangspunkt für die Katastrophe war ein Test, bei dem die Möglichkeit der Nutzung der Rotationsenergie der Turbine nach dem Abschalten für eine kurzfristige Notstromversorgung untersucht werden sollte. Der grundlegende Unterschied zu früheren Tests und damit eine Ursache für den Unfall war der Weiterbetrieb des Reaktors während des Tests. Selbst dies hätte noch nicht zu
ernsthaften Konsequenzen führen müssen, wäre es nicht zu einer Verkettung ungünstiger reaktorphysikalischer Eigenschaften mit schlechter Vorbereitung, Verstößen gegen Testprogramm und Betriebsvorschriften sowie mangelnder Kenntnis möglicher Rückwirkungen auf den Reaktor gekommen. Ein klassisches Katastrophenszenarium.
Die tödliche Strahlung breitete sich nicht gleichmäßig über die Umgebung aus. Die erste Wolke mit einem Großteil des radioaktiven Fallouts bewegte sich nordwestlich in Richtung Ostsee und Schweden in das benachbarte Weißrussland. Die 150 Kilometer südlich von Tschernobyl gelegene ukrainische Millionenstadt Kiew war kaum betroffen. In den folgenden Wochen gab es auch in West- und Nordeuropa Strahlenalarm. Auch über Süddeutschland waren die Wolken mit radioaktivem Regen hinweggezogen. Damit lernten wir zum ersten Mal die Bedeutung der Wetterverhältnisse bei einer Reaktorkatastrophe kennen, und auch, was »grenzüberschreitend« heißt.
Während die Sowjetführung den GAU tagelang verschwieg und am 1. Mai unbeeinflusst von dem Ereignis mit Parteichef Gorbatschow an ihrer Spitze die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz vor der gesamten politischen Führungsriege des Landes stattfinden ließ, registrierten die Schweden als Erste die Katastrophe und unterrichteten hiervon
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