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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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brachten, ernsthaft zu kämpfen. Stattdessen hatten sie versucht, die Inseln zu befrieden - und waren dabei ums Leben gekommen.
    »Chris ist schlau …«, murmelte Maljok, um sogleich noch etwas Unverständliches hinzuzufügen. Er redete offensichtlich im Schlaf. Kurz darauf wälzte er sich auf
die andere Seite. Im schwachen Licht, das durch das Fenster hereindrang, schimmerte sein weißer Verband.
    »Nicht nötig«, begann Maljok von Neuem, »er kann trotzdem nichts ausrichten …«
    Vorsichtig stand ich auf und beugte mich über ihn. Er war verstummt, atmete gleichmäßig und ruhig. Ich zog seine Decke zurecht und trat ans Fenster. Es befand sich nicht weit über dem Boden und ließ sich zum Glück leicht und geräuschlos öffnen. Ein Schwall kalter Luft schlug mir entgegen. Rasch zog ich mir noch ein herumliegendes Sweatshirt über, dann stieg ich auf den Wehrgang hinaus.
    Der Himmel war bedeckt, nur in einer kleinen Wolkenlücke blinkte ein Sternbild, das ich nicht kannte. Es bestand aus einigen sehr hellen Sternen, die einen regelmäßigen Kreis bildeten. Ich weiß ja nicht, wie es auf der südlichen Hemisphäre aussieht, aber an unserem Himmel gibt es keine solchen Sternbilder. Am irdischen Himmel, meine ich natürlich.
    »Ich nenne dich das Auge des Außerirdischen«, flüsterte ich und kicherte verkrampft. Um ehrlich zu sein, mir war nicht zum Lachen zumute. Mit tastenden Schritten machte ich mich zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Weg zum Scheitelpunkt der Brücke.
    Immer wenn ich mich umdrehte, sah ich die schummrige Silhouette der Burg, die mit der Finsternis verschmolz, nicht ein einziges Fenster war erleuchtet. Das Auge des Außerirdischen wurde immer wieder von den Wolken verschluckt, ja gelegentlich erschien es mir so, als ob die Wolken selbst ein schwaches Licht aussendeten. Sonst konnte man nicht die Hand vor Augen sehen. Da ich mich bereits der Mitte der Brücke näherte, musste ich aufpassen,
dass ich nicht in den zur Nacht geöffneten Spalt zwischen den Brückenhälften fiel. Den Schritt verlangsamend, tastete ich mich mit vorgestreckter Hand am Geländer der Balustrade entlang, deren Marmor noch die gespeicherte Wärme des vergangenen Tages abstrahlte und sich beinahe heiß anfühlte. Mit pochendem Herzen konzentrierte ich mich darauf, in dem Moment, in dem meine Hand ins Leere greifen würde, sofort stehen zu bleiben. Doch die Brücke wollte und wollte kein Ende nehmen, obwohl es mir schien, als müsste ich längst den Scheitelpunkt erklommen haben.
    Einige Schritte später wurde mir klar, dass meine Anspannung überflüssig gewesen war. Inga hatte eine Laterne dabei.
    Sie saß am Ende ihrer Brückenhälfte und ließ die Beine in den Abgrund baumeln. Der Spalt zwischen uns war etwa fünf Meter breit. Tief unten schäumte leise grummelnd das Meer. Neben Inga stand eine altertümliche Blechlaterne, in der eine rote Kerze brannte. Neben der Laterne lag ein aufgerolltes Seil.
    »Bist du’s?«, flüsterte sie, hob die Laterne etwas an und spähte mit angestrengtem Blick zu mir herüber. Dann wickelte sie das Seil ab. Meine Zweifel waren unbegründet gewesen: Natürlich war das Inga.
    »Fang!«, rief sie mir zu.
    Das rutschige Nylonseil klatschte mir gegen die Beine und rutschte dann in den Abgrund. Erst beim dritten Versuch bekam ich es zu fassen und konnte es am Geländer der Balustrade festbinden. Inga zog das Seil an und vertäute das andere Ende auf ihrer Seite.
    Nachdem sie es mit einem kräftigen Ruck auf seine Festigkeit geprüft hatte und mit dem Ergebnis offenbar
zufrieden war, fragte sie: »Worauf wartest du, Dima? Oder willst du das Hinüberklettern etwa mir überlassen?«
    Erst jetzt verstand ich, was ich zu tun hatte. Natürlich ist es keine Heldentat, ein paar Meter weit an einem Seil entlangzuklettern, sofern dieses Seil zum Beispiel über einen stillen Bach oder über Schaumstoffmatten gespannt ist. Hier jedoch dräute in hundert Metern Tiefe der schwarze Rachen des nächtlichen Meeres, was dem Unterfangen einen nicht unerheblichen Nervenkitzel verlieh.
    In die Leine greifend, sah ich noch einmal zu Inga hinüber, die reglos verharrte, dann begann ich mich über den Abgrund zu hangeln. Angst empfand ich eigentlich keine, was womöglich daran lag, dass ich in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie weit es hinunterging, und mir daher alles sehr unwirklich vorkam. Als ich jedoch schließlich auf der anderen Hälfte der Brücke angekommen war und wieder festen Boden unter den Füßen

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