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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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bitte.«
    »Moment mal«, widersprach Ilja empört. »Gestern gab es wirklich ein heftiges Gefecht hier.«
    Allmählich wurde ich träge und schläfrig. Der schwache Wind, der über die Brücke blies, war so heiß, dass er keinerlei Erfrischung spendete. Für eine Weile legte ich mich in die Sonne, dann schlenderte ich gelangweilt herum und sah aufs Meer hinunter. Immerhin wurde mir dabei nicht mehr schwindlig, offenbar gewöhnte man sich mit der Zeit an die Höhe.
    Plötzlich zuckten von unserem Wachturm zwei Lichtblitze zu uns herüber.
    »Die Mädchen werden uns gleich das Mittagessen bringen«, erläuterte Ilja. »Wir haben dort einen großen Spiegel aufgestellt, den man quasi als Lichttelegraf benutzen kann.«
    Ich nickte anerkennend und musterte Iljas Brille, deren einer Bügel mit Draht notdürftig befestigt und deren Gläser beide gesprungen waren.
    »Ilja, wie alt ist deine Brille schon?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
    »Die gehört gar nicht mir. Meine eigene ist, schon einen Monat nachdem ich hier ankam, kaputtgegangen. Diese hier ist ein Beutestück, Chris hat sie mir vor einem Jahr organisiert. Die Gläser sind zwar ein bisschen
zu schwach für mich, aber trotzdem ist es besser als nichts.«
    Auf welche Weise Chris ihm die Brille »organisiert« hatte, wollte ich gar nicht so genau wissen, es war ohnehin klar, dass niemand sie freiwillig hergegeben hätte.
    »Brillenträger haben es schwer hier«, warf Meloman ein. »Wenn ihre Brille kaputtgeht, sind sie eigentlich geliefert. Und Kranke haben es auch schwer, Herzkranke oder Diabetiker zum Beispiel. Es gibt ja keine Medikamente. Auf der Insel Nr. 30 ist so einer aufgetaucht, der ist nach einer Woche gestorben. Nicht im Kampf wohlgemerkt, sondern einfach so.«
    »Ohne deinen Disc-Man würdest du auch krepieren«, konterte Ilja bissig. »Du wirst schon sehen, wenn der mal den Löffel abgibt, dann legst du dich ins Bett und bist nach einer Woche hinüber.«
    »Lässt du mich mal reinhören?«, bat ich Meloman.
    Bereitwillig reichte er mir sein kleines, rundes Abspielgerät, das aussah wie eine fliegende Untertasse im Miniaturformat. »Weißt du, ich habe nur drei CDs, die kann inzwischen außer mir sowieso schon keiner mehr hören«, sagte er lachend.
    Als ich die Kopfhörer aufsetzte, erklang eine heisere Männerstimme, die kurze, schneidende Phrasen stakkatoartig aneinanderreihte:
    In des Spiegels matter Trübe
sehn wir uns und lächeln mild,
doch das ist nur eine Lüge,
uns hat erhascht das Spiegelbild.

    »Ist das Zeitspirale?«, fragte ich.
    Er nickte schweigend und machte ein zufriedenes Gesicht. Aus den Kopfhörern hämmerte ein treibender, einnehmender Rhythmus, unter dessen Eindruck ich jede Muskelfaser anspannte, als stünde mir eine Schlägerei oder ein Sprung ins kalte Wasser bevor.
    Allzu gern wärn wir entfleucht,
doch bleiben wir am Rahmen kleben,
aus der Scheibe tränenfeucht
lachen Fratzen uns entgegen.
     
    Mit einem schnellen Ruck zur Seite
hab’n wir uns davongestohlen,
doch die flinke Spiegelmeute
hat’s geschafft, uns einzuholen.
    Die CD war zu Ende. Gerade als ich sie wieder von vorne starten wollte, sah ich Tanja die Brücke entlangkommen, sie brachte einen riesigen Topf Essen. Auch unsere »Feinde« wurden verköstigt, bei ihnen fand sich ein kleiner Junge mit einer großen Tasche ein, die er kaum schleppen konnte.
    In aller Ruhe aßen wir zu Mittag. Unser Brot teilten wir mit den Jungen von der Insel Nr. 12, die uns ihrerseits einige saftige Äpfel abgaben. Tanja leistete uns eine Zeit lang Gesellschaft und wäre wohl gern noch geblieben, wenn Tolik sie nicht unmissverständlich zur Burg zurückgeschickt hätte.
    »Du bist noch zu klein«, erklärte er trocken. »Außerdem haben Mädchen auf der Brückenwache nichts verloren.«

    »Haben sie wohl!«, giftete Tanja beleidigt. »Auf der Insel Nr. 2 zum Beispiel.«
    »Pah, das glaubst du doch selbst nicht«, fertigte Tolik sie ab und erzählte mir kurz darauf, dass es Gerüchte gäbe, wonach auf der weit entfernt liegenden Insel Nr. 2 ausschließlich Mädchen das Sagen hätten und die Jungen von ihnen vertrieben oder sogar getötet würden.
    Während Tanja davontrottete, wandten wir uns wieder dem Nichtstun zu. Die Sonne sank allmählich auf den Horizont hinab, während der Wind gleichzeitig zunahm, als würde sich die schwindende Kraft der Sonne auf ihn übertragen. Ich kauerte mich auf dem noch warmen Marmor zusammen, zum einen, weil es rasch kühler wurde, zum

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