Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
nicht mehr aus: »Sergej, haltet ihr zu zweit auf den Brücken Wache?«
Nachdem er meine Frage ins Französische übersetzt hatte, tauschte Sergej ratlose Blicke mit seinen Gefährten und zuckte mit den Achseln. Dann begriff er plötzlich, was mich stutzig gemacht hatte. »Nein, nein, wir haben nur zwei Brücken«, sagte er. »Die dritte wurde vor langer Zeit gesprengt.«
Die in der Mitte zerstörte Brücke bestand überhaupt nicht aus Marmor!
Als ich auf allen vieren bis zur Abbruchstelle vorgekrochen war, bot sich mir ein merkwürdiges Bild. Die Bruchkante verlief tief gezähnt, als hätte ein Monster davon abgebissen. Viel erstaunlicher jedoch war die Beschaffenheit der Bruchfläche: Unter der rosaroten Marmorfassade befand sich kein Steinmaterial, sondern ein Konglomerat aus winzigen grauen Kügelchen, die wie Styropor zusammengeklebt schienen. Das Geräusch, das entstand, als ich neugierig mit dem Schwert dagegen klopfte, klang allerdings nicht hohl, sondern ganz so, wie man es beim Klopfen auf Stein erwartet hätte.
»Angeblich ist das kurz nach dem Krieg passiert«, sagte Sergej. »Damals landete wohl einer auf der Insel, der auf einer Kiste Dynamit saß.«
»Und sie haben nie versucht, die Brücke zu reparieren?«, erkundigte ich mich.
»Die Außerirdischen? Nein.«
Ich blickte nach unten und glaubte, durch das tiefe Blau des Meeres hindurch rosa-graue Steinbrocken schimmern zu sehen.
Die Bewohner der Kleinen Bastion hatten es wahrlich nicht schlecht getroffen. Ihre Insel war ein kleines Schmuckstück, und sie mussten viel weniger kämpfen als wir. Die »feindliche« Hälfte der Brücke, die zur Insel Nr. 6 gehörte, war etwa zwanzig Meter entfernt und somit unerreichbar.
»Anscheinend gab es damals überhaupt viele Waffen auf den Inseln«, erläuterte Sergej. »Die Jungen, die aus Europa auf die Inseln kamen, vor allem die aus Frankreich, Deutschland und Russland, waren oft bewaffnet. An Einschusslöchern in der Burgmauer kann man noch genau sehen, dass hier mal ziemlich viele Kugeln durch die Gegend gepfiffen sein müssen.«
»Und die Außerirdischen haben nicht eingegriffen?«, fragte ich verwundert.
Sergej beugte sich über den abgesprengten Rand der Brücke und blickte nachdenklich hinab. »Soweit ich weiß, nicht. Die Sache hat sich wohl von selbst erledigt, als die Patronen zu Ende waren.«
»Wozu brauchen sie uns dann überhaupt, wenn ihnen völlig schnuppe ist, was wir so treiben?«, dachte ich laut nach.
Sergej wusste keine Antwort. Meine Weggefährten und einige der Franzosen standen ein paar Meter hinter uns. Es war nichts für schwache Nerven, hier oben herumzuturnen, denn auch die Brückenbalustrade war
bei der damaligen Explosion stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
»Weißt du, was«, sagte Sergej schließlich. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass die uns einfach vergessen haben.«
Die Abreise von der Insel hatten wir für den Nachmittag geplant. Zusammen mit Timur und dem kleinen André, der sich als Exkursionsführer angeboten hatte, unternahm ich nach dem Frühstück einen Spaziergang im Wald.
Die Bäume, die hier wuchsen, waren nicht »irdisch«, jedenfalls hatte ich noch nie solche Bäume gesehen. An einigen von ihnen hingen winzige, kirschähnliche Früchte. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und stopfte mir ein paar davon in die Hosentasche. Es war zwar unwahrscheinlich, dass diese stattlichen Gewächse auf dem sandigen Boden unserer Insel gedeihen würden, aber wer weiß, dachte ich mir, ausprobieren kostet bekanntlich nichts. Wie André mir erklärte, waren die Früchte ungenießbar, dafür waren die Bäume mit wunderschönen rosa Blüten geschmückt. Ich wollte schon nach einem in Reichweite hängenden Ast greifen, um einen blühenden Zweig für Inga abzupflücken, doch dann war es mir irgendwie peinlich, und ich ließ es bleiben.
Timur hatte keinen Blick für die Naturschönheiten der Insel, oder besser gesagt: Er hatte einen ganz speziellen Blick dafür. Aus dichten Stauden schnitt er mit dem Schwert einige kräftige, biegsame Ruten heraus. »Ich werde mir einen Bogen bauen«, erklärte er begeistert.
Nachdem uns André eine halbe Stunde lang über gewundene Pfade durch die üppige Vegetation geführt
hatte, fiel mir auf, dass noch etwas anderes an diesem Wald nicht irdisch war: Er war totenstill und wie ausgestorben! In den Wäldern, wie ich sie von der Erde kannte, war die Luft von Vogelgezwitscher erfüllt, bald rief ein Käuzchen in der
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