Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Inga.«
»Ich hatte eben Mitleid mit ihm«, beharrte Inga, »weil er sich bei uns nie richtig wohlgefühlt hat. Alle haben sich über ihn lustig gemacht.« Sie versetzte mir einen bissigen Blick. »Das gilt auch für dich, Dima.«
Widersprechen konnte ich nicht, denn Inga hatte recht: Janusch hatte sich ständig Sticheleien gefallen lassen müssen, und auch ich war an den Späßen auf seine Kosten nicht unbeteiligt gewesen. Außerdem hatten wir ihm oft vorgehalten, er sei nur deshalb so schweigsam, weil er zu faul sei, Russisch zu lernen. Und dass bei seinen sprachlichen Verrenkungen alle Umstehenden regelmäßig in Gelächter ausbrachen, war vielleicht nicht böse gemeint, aber vermutlich trotzdem kränkend für ihn.
Kaum merklich wiegte sich unser Boot auf dem Wasser. Die Kerze auf dem kleinen Kajütentischchen flackerte im Rhythmus der schaukelnden Bewegung und ließ die verzerrten Schatten unserer Köpfe gespenstisch an den Bretterwänden umhertanzen. Auf unsere Lider legte sich bleischwere Müdigkeit, und ein Besatzungsmitglied nach dem anderen verschwand in seine Schlafstatt.
Als Letzter kroch ich in meine Koje, streckte die Hand aus und drückte die Kerze zwischen meinen mit Spucke befeuchteten Fingern aus. Mit einem kurzen, dumpfen Zischen verlosch die Flamme. Für diese Nacht verzichteten wir auf einen Wachposten an Deck, ohne dass wir darüber gesprochen hatten.
»Gute Nacht«, flüsterte ich in die plötzliche Finsternis.
»Gute Nacht«, gab Inga zurück. »Ein bisschen Wind morgen früh könnte nicht schaden.«
Bis zum Mittag herrschte völlige Windstille. Wir schlugen die Zeit tot, indem wir in der Sonne dösten, uns mit Hechtsprüngen über Bord erfrischten, Tom ein paar neue russische Ausdrücke beibrachten und uns als Fischer versuchten. Hinterher konnte Tom den komplizierten Satz »Im Namen der Konföderation, werft die Waffen weg!« unfallfrei aussprechen, und Timur hatte ein sage und schreibe fünf Zentimeter langes Fischlein gefangen.
Als die Tatenlosigkeit uns ernstlich anfing, auf die Nerven zu gehen, erhob sich ein schwacher Wind. Zu unserer Überraschung machte Tom keinerlei Anstalten, das Segel zu setzen. Stattdessen erklärte er uns in seinem mit englischen Worten durchsetzten gebrochenen Russisch, dass der Wind aus der falschen Richtung wehe und er zwar auf einer Jacht gegen den Wind kreuzen könne, nicht aber auf einem »schwimmenden Waschzuber mit Leintuch«. Diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung hatte sich Sershan für die Aliens Nightmare ausgedacht, als er nach sechsstündigen Schleifarbeiten wunde Finger hatte und nicht besonders gut auf das Boot zu sprechen war. Tom äußerte sich zum ersten Mal so abschätzig über sein »Baby«. Offensichtlich wurmte es ihn, dass sich der schwimmende Waschzuber nicht so steuern ließ wie das moderne Boot, das er von zu Hause gewohnt war.
Etwa seit einer halben Stunde trieb die Aliens Nightmare in den immer höher werdenden Wellen, ein Zustand, der für uns noch wesentlich frustrierender war
als die Flaute zuvor. Dann zog sich plötzlich auch noch der Himmel zu.
Von Osten her schob sich eine mächtige, violettgraue Wolkenwand heran und stülpte dem Archipel Insel für Insel ihren finsteren Schatten über. Auf der Oberseite der Wand schossen gewaltige, quellende Gewittertürme in die Höhe, während sich von der Unterseite bis zur Meeresoberfläche ein gelblicher Schleier spannte, wie man ihn nur vor schweren Gewittern beobachten kann. Die Ränder der heranstürmenden Wolkenberge glühten orangerot, als ob dahinter ein Feuer brennen würde. In das Gewittergelb mischten sich graue Regenschleier, während aus der schwarzen Wolkenmasse erste Blitze aufs Wasser herab zuckten. Sekunden später hörte man in der Ferne verhaltenes Grummeln.
»Sieht nach einem Sturm aus«, sagte ich überflüssigerweise.
Minutenlang standen Tom und ich nebeneinander vor der Kajüte und beobachteten das Spektakel am östlichen Himmel. Als ich mich gegen die Kajütenwand lehnte, bemerkte ich, dass sie bedrohlich nachgab. Wie konnte man sich nur auf einem derart notdürftig zusammengezimmerten Kahn aufs Meer hinauswagen? Was waren wir für Narren!
Der nächstliegende Schritt wäre nun gewesen, umzukehren und wieder die Insel Nr. 4 anzusteuern. Leider führte für uns kein Weg dorthin zurück, denn der Wind trieb unser Boot gnadenlos nach Westen auf eine kleine Insel zu, die mit niedrigem Buschwerk und einzelnen Baumgruppen bewachsen war. Das Eiland hatte die
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