Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Schwarzseher, war mir kein so enger Freund gewesen wie Tolik oder Timur. Aber auf dem glatten Brückenmarmor hatten wir Seite an Seite ums Überleben gekämpft.
Die Rache wird fürchterlich.
»Und die anderen...?« Ich verstummte, denn Toliks
Gesichtsausdruck ließ befürchten, dass Sershan nur der Erste auf der Liste war.
»Lera.«
Lera? Ich würgte an der von Rauch getränkten Kellerluft. Ein zehnjähriges Mädchen? Selbst wenn alle Jungen auf einer Insel umgebracht wurden, krümmte man den Mädchen in der Regel kein Haar.
»Aus Versehen? Mit einem Pfeil?«, fragte ich in der vagen Hoffnung, dass es kein feiger Mord gewesen war. Es ist schwer, sich die Schlechtigkeit ehemaliger Freunde einzugestehen. Händeringend suchen wir nach Rechtfertigungen für ihr schändliches Verhalten.
»Mit dem Schwert, als wir in den Keller flüchteten und Lera ein Stück zurückblieb.«
Die Rache wird fürchterlich.
»Und Olja?«
»Sie ist in Gefangenschaft, sitzt im Turm, wo ich vorher eingesperrt war«, antwortete Maljok, der uns in den Keller gefolgt war.
»Ist alles in Ordnung mit ihr?«, fragte Rita besorgt.
Maljok zuckte mit den Achseln. »Schon. Sie haben ihr was zu Essen gebracht und so... Nur hat sie immer geweint, wenn Achmet und Boris sie verhört haben.«
»Verhört?«, fragte Rita entsetzt und riss die Augen auf. »Verhört?«, schrie sie beinahe hysterisch.
Chris sprang zu Maljok, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn heftig. »Bub... Du dummer Bub!«
Völlig verdutzt versuchte Maljok, sich loszureißen. Chris ließ ihn von selbst los, holte schon aus, ließ die Hand dann aber doch wieder sinken und wandte sich zornrot von ihm ab. Stattdessen baute ich mich vor Maljok auf.
»Was habt ihr denn? Was habe ich denn getan?«, wimmerte er.
Kommentarlos schlug ich ihm mit der flachen Hand hart ins Gesicht. Aber ich verstehe, dachte ich. Ja, ich verstehe vollkommen. Du kannst ja nichts dafür, Maljok, dass du als kleiner Junge auf die Insel gekommen bist. Und du kannst auch nichts dafür, dass die Insel des Scharlachroten Schildes von Chris mit englischer Strenge geführt wird, sodass Kinder nicht wissen, was sie nicht zu wissen brauchen. Es ist nicht deine Schuld. Aber...
Die Rache wird fürchterlich.
6
DIE BEFREIUNG
Gegen Abend kehrte ich von der Ostbrücke zurück. Den ganzen Nachmittag über hatte ich dort am höchsten Punkt nackt ausgezogen in der Sonne gelegen. Mein Holzschwert hatte ich mit meiner Kleidung umwickelt und mir als Kissen unter den Kopf geschoben. Es gibt sicher bequemere Orte für ein Sonnenbad, doch die Verrenkungen zwischen Kajüte und Mast der Aliens Nightmare hatten meine Ansprüche in dieser Hinsicht auf ein Minimum reduziert.
Sowohl unsere Burg als auch die Burg der Insel Nr. 30 hatte ich von hier oben bestens im Blick. Wenn jemand dort unten aufgetaucht wäre, hätte ich genug Zeit gehabt, mich in aller Ruhe anzuziehen und auf mögliche unangenehme Überraschungen vorzubereiten. Doch die Insel Nr. 30, die von der Konföderation ausgelöscht worden war, lag immer noch wie ausgestorben da. Ich stellte mir vor, in welch misslicher Lage sich der Junge wiederfinden würde, den es als Nächsten von der Erde dorthin verschlagen würde.
Auf den gefährlichen Brücken hielten die anderen Jungen Wache. Mir wurde eine Verschnaufpause gegönnt, obwohl ich schon den gestrigen Tag, den ersten nach unserer Rückkehr auf die Insel, vollständig verschlafen hatte.
Nur einmal, gegen Abend, war Mädchengeflüster durch den dicken Vorhang des Schlafes zu mir durchgedrungen.
Inga und Rita waren in meine Kammer gekommen, um nach mir zu sehen. Offenbar hatte Inga sich darüber Sorgen gemacht, ob ich nicht doch etwas zu tief entschlummert war. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich zu mir herabbeugte, mich lange ansah und dann mit den Lippen meine Stirn berührte. Das war natürlich nur ein Traum.
»Gehen wir, lassen wir ihn schlafen«, flüsterte Rita schließlich.
Für einen Augenblick wollte ich lachen und ihnen sagen, dass ich überhaupt nicht schliefe, um schon im nächsten Augenblick wieder in eine tiefe Besinnungslosigkeit zu versinken, die bis zum nächsten Morgen andauern sollte.
Als ich erwachte, fühlte ich mich müde, und mein Kopf schmerzte. Das kommt vor, wenn man allzu lange schläft. Zum Glück hatte ich keine Gelegenheit dazu, in Selbstmitleid zu versinken, denn Timur fühlte sich noch viel schlechter als ich und fiel für den Wachdienst definitiv aus. Die restlichen
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