Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
hingeworfen hatte. Bisweilen unterscheidet sich niederträchtige Grausamkeit von einer aufgenötigten Härte nur durch ein winziges Detail, durch einen bestimmten Tonfall oder einen Gesichtsausdruck. Leider kommt es auch vor, dass diese Unterschiede vollständig verschwimmen.
Nachdem ich Timurs Kammer verlassen hatte, verzog ich mich in meine eigene und ließ mich auf mein Bett fallen. Eine tiefe innere Leere und Schwermut legten sich auf mein Gemüt, ich hatte weder Lust zu schlafen noch zu essen noch irgendjemanden zu sehen.
Nach zehn Minuten kam Chris zu mir herein. Er setzte sich auf das zweite Bett und sah mich lange an. Vor einer halben Ewigkeit, an meinem ersten Morgen auf der Insel, hatte Maljok mich so angeschaut. Damals hatten wir das Lächeln noch nicht verlernt.
»Chris, erzähl mir, wie alles passiert ist«, bat ich ihn. »Ich habe noch gar nicht richtig kapiert, was geschehen ist.«
Der Kommandeur stützte das Kinn in die Hände, wiegte resigniert den Kopf und senkte den Blick auf den Boden.
»Wenn ich das so genau wüsste«, begann er. »Gestritten haben wir uns ja eigentlich immer mal wieder, schon bevor ihr in See gestochen seid. Und dieses Mal war eigentlich auch nichts Außergewöhnliches vorgefallen.«
Chris erzählte mir die ganze Geschichte. Achmet hatte eine der morgendlichen Besprechungen im Zorn verlassen, nachdem ein Streit über eine völlige Lappalie ausgebrochen war. Es hatte sich lediglich darum gedreht, auf welcher Brücke einer »unbeugsamen« Insel Achmets Kämpfer im Auftrag der Konföderation angreifen sollten. Untertags hatte dann Tolik von Bekannten erfahren, dass Achmet sich mit den Kommandeuren von zwei weiteren Inseln der Konföderation getroffen hatte, um etwas mit ihnen zu besprechen. Am Abend war Achmet zurückgekehrt, angeblich um sich mit Chris auszusöhnen. Dass er anderes im Schilde führte, hatte Sershan als Erster bemerkt, als er auf den Wehrgang hinaustrat und sah, dass von allen drei Brücken gleichzeitig Kämpfer von den Nachbarinseln anrückten.
Es war völlig aussichtslos gewesen, sich dieser Übermacht entgegenzustellen, die meisten hatten es gerade noch geschafft, sich in den Keller zu flüchten und sich dort zu verbarrikadieren.
Während ich Chris zuhörte, überkam mich das idiotische Gefühl, als wäre ich bei diesen Geschehnissen dabei
gewesen, so bekannt schien mir alles, was er erzählte. Es war tatsächlich ein ganz banaler Streit gewesen, eine ganz normale Intrige, und ein ganz gewöhnlicher Kampf hatte diese Palastrevolution vollendet.
»Chris«, unterbrach ich die Erzählung des Kommandeurs, »eigentlich hätte das auch schon früher passieren können.«
Chris stand auf, streckte sich und warf sich aufs Bett. »Hätte passieren können, sagst du? Es musste früher oder später passieren. Zweifelsohne.«
»Wenn nicht Achmet, dann hätte eben ein anderer versucht, die Macht an sich zu reißen«, sagte ich und setzte mich halb auf.
»Zwei-fels-oh-ne«, erwiderte Chris gedehnt. »Die Außerirdischen haben sich keinen Kopf gemacht wegen der Konföderation, denn sie wussten, dass sie auseinanderfallen würde. Vierzig Inseln. Vierzig verschiedene Gewohnheiten und Regeln. Inseln, die wie Demokratien geführt werden, und solche, die wie Diktaturen funktionieren. Internationale Inseln und national einheitlich besetzte. Kleine Buben und Hünen wie ich. Wir wollen zwar alle wieder nach Hause, richtig. Aber wir wollen noch viel mehr. Und das nicht erst auf der Erde, sondern schon hier. Warten will keiner. Um keinen Preis.« Chris gähnte. Dann setzte er unvermeidlich hinzu: »Zwei-fels-oh-ne.«
»Was hast du denn immer mit deinem ›zweifelsohne‹?«, fragte ich leicht gereizt. »Fällt dir kein anderes Wort dazu ein?«
Chris lachte. »Siehst du, selbst so ein harmloser Tick wie die Angewohnheit, ein bestimmtes Wort zu wiederholen, kann uns zum Streiten bringen.«
»Nicht wirklich, Chris«, entgegnete ich.
Wir schwiegen für einige Augenblicke.
»Schade um Sershan«, sagte Chris dann unvermittelt. »Wir haben uns immer darüber lustig gemacht, dass er an allem zweifelt und mit allen streitet. Aber genau das hat uns gerettet. Tolik hatte Sershan noch Vorwürfe gemacht, weil er so misstrauisch war und nicht glauben konnte, dass Achmet sich wirklich mit uns aussöhnen will. Sershan war deshalb eingeschnappt, aber er beharrte darauf, dass etwas faul sei an der Sache. Wie recht er doch hatte.«
»Stimmt, er hat immer mit allen gestritten«,
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