Die Rollbahn
Offiziere musterte.
»Woher?« fragte Mönkeberg.
Strakuweit hob die Schultern. »Er saß am Waldesrand und sang Stenka Rasin.«
»Strakuweit …«, sagte Faber mahnend.
»Er sang nicht schön, Herr Hauptmann. Bestimmt nicht. Da habe ich mir gedacht: Wenn der Alte schon so unmusikalisch ist, kann er wenigstens meinen Affen schleppen.«
Hauptmann Faber winkte ab, als Mönkeberg noch etwas sagen wollte.
»Sie gehen mit den Essenträgern nach vorn«, sagte er dienstlich. »Zur 6. Kompanie.«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann. Ist dort auch der Fritz?«
»Der Leskau? Der führt sie.«
»Das ist schön, Herr Hauptmann.«
Zufrieden wie ein Bär, der Honig geschleckt hat, ging er zu den Leuten des Bataillonstrupps. Mönkeberg sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er den alten Russen vor sich hertrieb.
»Das ist mehr, als ich nach Ihren Erzählungen erwartet habe! Dieser Kerl kann einen Gemütsathleten zum Wändehochklettern bringen.«
In der Nacht war der alte Bauer aus dem Bataillonsabschnitt verschwunden. Er hatte sich gegen Morgen weggeschlichen. Strakuweit hatte es gemerkt … er hielt die Augen geschlossen und blieb liegen. Er schwieg auch, als man ihn fragte, woher er den Russen wirklich hatte. »Er saß am Wege, weiter nichts«, blieb er bei seiner Aussage.
Nur er allein wußte, daß der alte Bauer in einem Gebüsch gelegen hatte, zwei Tellerminen neben sich, die er auf dem Waldweg, über den der Nachschub nach vorn kam, vergraben sollte. Strakuweit merkte es, weil ein verborgener Spaten schlecht im Gras versteckt war.
Ich hätte ihn erschießen müssen, dachte Strakuweit. Jetzt legt er wieder Tellerminen, und die Kameraden fliegen in die Luft. Zum Teufel mit der Anständigkeit! Er lag die ganze restliche Nacht wach und zergrübelte sich das bißchen Gehirn, ob er richtig gehandelt hatte oder es besser gewesen wäre, zum Mörder an dem Alten zu werden. Er kam zu keiner Lösung dieser Frage und machte sich beim Morgengrauen auf, in der Bataillonsküche etwas für seinen Magen zu tun.
Eine Stunde später wurde der Bauer im Bereich der 5. Kompanie von einem zurückkommenden Spähtrupp erschossen. Sie trafen ihn an, wie er mit einer roten Lampe Lichtzeichen zur russischen HKL gab.
»Na also«, sagte Strakuweit. »Im Leben regelt sich alles.«
In Prushany, südlich der Jossiolda-Sümpfe, wurde der neue Hauptverbandplatz aufgebaut.
Stabsarzt Dr. Wensky, Unterarzt Dr. Bohr und Sanitätsunteroffizier Walter Heinrich waren wieder nach vorn geworfen worden, um – wie es hieß – die Verwundeten schon kurz hinter der Front soweit zu versorgen, daß sie bei einer neuen sowjetischen Offensive mit in die Verteidigung der polnischen Grenze eingegliedert werden konnten. Man wollte sogar den Transport der Verwundeten in die Heimat sparen … entweder krepiert oder mit der Waffe in der Hand bis zum letzten Atemzug! Gotentreue, nannte es der Reichsführer-SS Himmler. So wie einst die letzten Goten am Vesuv unter König Teja untergingen, würde das deutsche Volk gegen den roten Sturm kämpfen …
Die Erinnerung an das Wiedersehen mit Elsbeth in Nasielsk, das ungewisse Schicksal, in dem er sie zurückließ, hatte Heinrich um Jahre altern lassen.
»Seien Sie keine Memme, Heinrich!« hatte Dr. Wensky ermunternd zu ihm gesagt, als er wie ein Irrer im Lazarett angekommen war und herumlief wie ein Amokläufer. »Man erspart uns nichts für die 99,8 Prozent Ja-Stimmen, die wir 1933 für den herrlichen Führer abgaben! Die Quittung ist nun da. 99,8 Prozent werden vor die Hunde gehen.«
»Es ist schrecklich, Herr Stabsarzt.« Heinrich hatte sich auf sein Bett gesetzt und den Kopf in die Hände vergraben. »Was hat unsere Generation nur verbrochen, um so gestraft zu werden?«
»Das kann ich Ihnen sagen: Das gleiche, was die Generation vor uns auch verbrochen hat, als sie 1914 in den Ersten Weltkrieg zog! Sie war blind gegenüber der Wahrheit, sie war taub gegenüber den Mahnern, sie war geblendet vom Glanz der Uniformen und Reden, der Fahnen und Märsche, der blitzenden Waffen und dem Gift der Siegessicherheit. Sie war einfach zu dumm für die große Politik! Das ist ein Schicksal, das uns Deutschen in jedem Jahrhundert mindestens einmal passiert: Wir gehen zugrunde an der Zipfelmütze, wie sie bezeichnenderweise der deutsche Michel trägt!«
Es kamen dann Tage, an denen Dr. Wensky mit Heinrich nur das Notwendigste sprach. Das Eintreffen von Unterarzt Dr. Bohr, der wegen seines jungenhaften Aussehens schnell den Spitznamen
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