Die Rollbahn
Pawleks Stimme wurde wieder leise. »Haben Vertrauen, professori … Wir wärden finden Wäg weg von Ruuvuussen …«
»Durch die deutschen Soldaten hindurch?«
»Ja.«
»Du sagst es so, als könnte es wahr sein.«
Der kleine polnische Friseur lächelte breit. »Es isst wahr, pany … Sie brauchen habben keine Angst …«
Vor dem Fenster des kleinen Ladens ratterten Sturmgeschütze durch die Straßen Nasielsks. Eine Kompanie Infanterie zog singend über den Marktplatz. Junger Ersatz, Milchgesichter, Kinderaugen unter grauen Helmen. Vor ihnen her marschierte ein Leutnant mit dem Deutschen Kreuz in Gold auf der Brust. Sie bewunderten ihn. Das ist ein Kerl, dachten sie. Ein Held! So wollen wir auch sein … und in zwei Tagen lagen sie mit zerfetztem Leib irgendwo am Njemen oder an der Weichsel, und ihre weiten, leeren Kinderaugen starrten in den Himmel.
Die Stimme Pawleks riß Elsbeth Holzer aus ihren Gedanken.
»Es isst umsonst.«
»Was?«
»Die neuen Truppen, die Panzer … Der Russe ist stärker. Deutschland isst kaputt.«
Durch die Straßen Nasielsks klirrte der Gesang der Jungen.
»Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein, und das heißt … Eeeeerika …!«
Es ist schrecklich, zum Tode Verurteilte singen zu hören.
Mit dem Tode des Generals zerfiel der Stab.
Oberst v. Bennewitz wurde versetzt … er bekam ein Frontkommando und übernahm die 234. Division, die, neuaufgestellt in Posen, als schnelle Truppe in die Lücke zwischen der Heeresgruppe Nord und Heeresgruppe Mitte geworfen wurde. Er erreichte sein befohlenes Ziel gar nicht … auf halbem Wege karrten ihm die Feuerwalzen der Sowjets entgegen und ging seine halbmotorisierte Division im Feuer der russischen Panzerbrigaden unter.
Oberst v. Bennewitz starb, wie er gelebt hatte, korrekt und aufrecht. In seinem Befehls-Panzerwagen, mit dem er den Truppen nach dem Muster Rommels vorausfuhr, verbrannte er nach einem Volltreffer.
Es blieb von ihm nichts mehr übrig, was man mit militärischen Ehren hätte begraben können.
Aber man schrieb es so an seine Witwe. Man legte sogar ein Foto des ›Heldengrabes‹ bei. Die PK-Kompanien hatten solche Fotos in Serien vervielfältigt.
Für Theo Strakuweit hieß es, sich nach einem neuen Job umzusehen. Der neue General brachte seinen Fahrer mit. Er sprach Strakuweit seinen Dank für die Treue aus, die er dem verblichenen General und Vorgänger gehalten hatte. Er brauchte es nicht, es war eine völlig, unmilitärische und vom Vorgesetztenverhältnis aus betrachtet auch völlig abwegige Sache, aber der General tat es, weil er im Innern spürte, daß dieser saudumme Obergefreite an seinem Vorgänger wie an einem Vater gehangen hatte.
»Sorgen Sie dafür, daß dieses Schafsgesicht bald verschwindet«, sagte er zu dem neuen Personaloffizier. »Am besten zurück zur Truppe!«
Strakuweit hatte den gleichen Gedanken. Gleich nach der Verabschiedung erschien er bei Hauptmann Fortmann und knallte die Hacken zusammen.
»Ich bitte um Versetzung zu meinem alten Haufen, Herr Hauptmann.«
Hauptmann Fortmann nickte. »Wenn er noch besteht … Wo waren Sie?«
»Zuletzt 26. ID. 2. Bataillon, Major Schneider. 6. Kompanie, Oberleutnant Faber.«
»Sie hören von mir. Bleiben Sie in Ihrem Quartier.«
Hauptmann Fortmann rief die 26. ID an. Er sprach zwei Minuten mit Oberst Berneis; dann legte er den Hörer langsam und nachdenklich auf die Gabel zurück.
Major Schneider, dachte er. Bekam nach dem Fall Orschas für seinen kühnen Durchbruch zum Dnjepr das Ritterkreuz. Vor drei Tagen holte ihn ein Sonderkommando des SD aus Warschau ab. In einer Schneise bei Sokolow, mitten im Wald, wurde er erschossen.
Auf der Flucht erschossen, hieß es in dem Bericht.
Als man den toten Körper umdrehte, umklammerten seine starren Hände das Ritterkreuz. Im Fallen, im Sterben hatte er es sich vom Hals gerissen. Und der Tod war schneller als sein Wille, es wegzuwerfen …
Oberleutnant Faber, zum Hauptmann befördert, führte jetzt das Bataillon. Die 6. Kompanie stand unter der Leitung von Oberfeldwebel Leskau … man hatte keine Offiziere mehr … sie fielen an der Front oder wurden in der Heimat hingerichtet. Der Nachschub von den Kriegsschulen reichte nicht aus … man beförderte alte Oberfeldwebel zum Leutnant, um den Schein zu wahren, daß das deutsche Heer nicht ohne Köpfe war.
Zwei Tage nach seiner Meldung wurde Strakuweit in Marsch gesetzt. Zurück zur Truppe, zurück zur Front.
Es war, als habe der Krieg etwas den Atem
Weitere Kostenlose Bücher