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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eigene Meinung – das genügte. Ob zu Hause eine Frau weint, ob Kinder auf den Vater warten … wen kümmert auch das? So wird ein Mord einfach hingenommen wie tausend Morde vor ihm. Er ist zur Alltäglichkeit geworden … ja, man glaubt es sogar! ›Auf der Flucht erschossen.‹ Warum will der Idiot auch weglaufen? So oder so rollt doch sein Kopf!«
    Dr. Bohr fragte nicht weiter. Die Worte Dr. Wenskys waren lauter und lauter geworden, die letzten Sätze schrie er fast. Jetzt stand er schwer atmend am Fenster und legte die Hände flach gegen die Scheiben.
    »Wir können gar nichts tun«, sagte er nach einer Weile in das dumpfe Schweigen hinein. »Wir können nur sterben …«
    Ein paar Tage später kamen sie weg.
    An die Front.
    Nach Prushany.
    Opfer der Auskämmung in rückwärtigen Gebieten.
    Sie kamen in ein Dorf, das von den Bewohnern verlassen war, dessen Zufahrtsstraßen voller Minen staken, in dessen Wäldern die Partisanen hausten und darauf warteten, daß die Front weiter vorrückte, um die Deutschen in eine tödliche Zange zu nehmen.
    Sie waren kaum in Prushany, als sie Arbeit bekamen.
    Eine Flut von Verwundeten, die sich bisher bei den Trossen aufgehalten hatte, notdürftig von den Sanis versorgt, wanderte zum neuen Hauptverbandplatz und trug die große Hoffnung in den Herzen, zurück in die Heimat zu kommen.
    »Ein schönes Schüßchen«, sagte ein Obergefreiter. »Schußbruch! Reicht für zu Hause.«
    »Nee«, sagte Walter Heinrich, indem er den Papierverband abwickelte. Er war durchgeeitert und stank.
    »Wieso nee?« Der Obergefreite wurde blaß. »Ich dachte …«
    »Wer denkt, ist kein Soldat! Der Soldat gehorcht und denkt nicht!« Heinrichs Humor war grimmig und bissig. Er tupfte die Wunde sauber. Ein Schuß, der ein Musterbeispiel war. Knochen zersplittert, Radialisnerv angeritzt … alles sauber und präzise, ein wundervoller Heimatschuß. Aber man lebte nicht mehr im Jahre 1939 oder 1940, sondern Ende 1944! Das war der einzige Unterschied der Verwundung … sie kam zu spät! »Was willst du zu Hause, Kamerad?«
    »Meine Frau wiedersehen. Nach zwei Jahren!«
    »Das gibt ja doch bloß ein Kind!«
    Der Landser grinste. Er biß die Zähne aufeinander, als Heinrich den Mullpacken von der Wunde riß.
    »Aber ein Mädchen! Keinen Jungen. Man sollte überhaupt keinen Jungen mehr zur Welt bringen. Dann hört der ganze Scheißdreck auf.«
    »Denkste. Dann führen die Weiber den Krieg! Wenn es mal zwanzig oder dreißig Jahre still auf der Welt geblieben ist, juckt irgendeinem Uniformträger die Hand. Und wieder geht's los! Wir Menschen sind eine komische Gesellschaft, Kamerad. Eigentlich sind wir die größte Fehlschöpfung der Natur.«
    »Halt die Fresse.« Der Soldat verzog das Gesicht. Heinrich hatte den Oberarm bewegt, um festzustellen, wie weit der Knochen zersplittert war.
    »Himmel noch mal – muß das sein?« stöhnte der Landser.
    »Leider, mein Junge. Wir werden dir einen Gipsverband machen, und dann legst du dich auf einen Strohsack, liest die neueste PK-Zeitung und träumst von zu Hause und von deiner Frieda und dem Kind, das du machen willst.«
    »Und wann geht's nach Hause?«
    »Überhaupt nicht!«
    Der Landser richtete sich auf. Er stützte sich mit dem gesunden Arm ab und sah Heinrich mit weiten Augen an.
    »Das ist doch'n fauler Witz, Unteroffizier?«
    »Leider nicht.«
    »Aber ich kann doch nicht mit kaputten Knochen …«
    »Wir müssen es können …«
    »Und Radialislähmung …«
    »Nützt alles nicht! Die einzige Lähmung, die gilt, ist der Tod. Sei froh, daß du noch weggekommen bist.«
    »Um hier zu verrecken, wenn der Russe durchbricht!« schrie der Obergefreite. »Die schlagen uns tot, wenn sie uns erwischen. Die schlagen uns tot wie die Hunde, mit der bloßen Faust, mit einem Knüppel …« Heinrich wandte sich ab und verließ den Raum.
    »Die wollen uns hier fertigmachen!« brüllte ihm der Verwundete nach. »Kameraden – die lassen uns zurück! Die liefern uns den Russen aus! Kameraden – wehrt euch doch! Die lassen uns einfach liegen …«
    Auf dem Gang traf Heinrich auf Dr. Wensky.
    »Was ist denn da los?« fragte er.
    Heinrich biß die Lippen zusammen. »Einer sagt die Wahrheit, Herr Stabsarzt.«
    »Und da brüllt er so?«
    »Er begreift die Wahrheit nicht …«
    »Begreifen Sie sie?«
    »Nein!«
    »Und warum brüllen Sie nicht?«
    »Ich habe nicht mehr die Kraft dazu.«
    »Das ist gut.« Dr. Wensky lächelte sarkastisch. »Sie haben das Zeug, ein Held zu werden

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