Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
und Minny, die das Herz auf der Zunge trägt, was sie schon manche Anstellung gekostet hat, sind mutig genug, den Stein ins Rollen zu bringen. Und so öffnet Skeeter die Büchse der Pandora und bringt das empfindliche Gleichgewicht einer Gesellschaft ins Wanken, die sich auf skandalöse Ungerechtigkeit und Rassismus gründet.
Wir heißen Rache nicht grundsätzlich gut ( ▶ Rachegelüste ), aber wenn die Schuldigen sich für Ihre Vergehen nicht einmal schämen, ist ein ›Wie du mir, so ich dir‹ gerechtfertigt. Die völlig gerechte Strafe, die Hilly Holbrook zuteilwird, die Verfechterin getrennter Toiletten für Schwarze und Weiße, ist perfekt. Und wenn Minny ihrer Arbeitgeberin Hilly ihr angemessenes Dessert serviert, bekommt diese etwas weitaus Schlimmeres zu kauen als eine einfache Pastete. Von so viel Mut und Tapferkeit bestärkt, sollten Sie sich aus dem Schrank wieder heraustrauen. Entschuldigen Sie sich für das, wofür Sie sich schämen. Was auch immer Sie getan haben, überlassen Sie es nicht anderen, das, was Sie beschämt, an Ihrer Stelle zu offenbaren.
▶ Scham, lektürebezogene
▶ Schuldgefühle
299 Leseleiden: Scham, lektürebezogene
Therapie: Das Buchcover verstecken
Sie wurden auf frischer Tat dabei ertappt, beim Warten auf Ihr Kind am Schultor Shades of Grey zu lesen? Sie scheuen sich davor, während Ihrer Nachtschicht über Zwei an einem Tag zu schluchzen? Es ist Ihnen peinlich, beim Friseur unterm Haartrockner Proust herauszuziehen? Und was wäre, wenn Ihre Schüler Sie, ihre emanzipierte Deutschlehrerin, im Bus entdeckten, vertieft in Bis(s) zum Morgengrauen ? Wechseln Sie ins digitale Fach. Diskretion ist das Geschenk des E-Readers. Entweder das – oder Sie häkeln sich einen Buchumschlag. Es geht niemanden etwas an, welches Buch Ihren Mund sich sanft öffnen und Ihre Augen glänzen lässt. Ihre Romane sind zu Ihrem Vergnügen da – und zwar zu Ihrem Privatvergnügen.
Schlafwandeln
Die Schlafwandler
Hermann Broch
Wenn wir träumen, begibt sich unser Gehirn auf lebhafte Fantasiereisen. Die Verschaltungen, die den Impuls, sich zu bewegen, vom Hirn zum Körper übertragen, sind bei den meisten Menschen im Schlaf blockiert – wir liegen ruhig da, und außer vielleicht einem Zucken, Schluchzen oder Quietschen gibt es kein äußerlich sichtbares Anzeichen unserer inneren Reisen. Wie es scheint, funktioniert diese Verschaltung vor allem bei älteren Kindern manchmal nicht richtig, und die Pläne des Hirns werden auf den Körper losgelassen, was den Träumer zu einem umherwandernden Somnambulen macht, der jedes andere Familienmitglied, dem er zufällig am Treppenabsatz begegnet, zu Tode erschreckt. Mit seinen glasigen Augen ist sich ein Schlafwandler nicht im Geringsten bewusst, barfuß umherzutapsen – und wenn man ihn aufweckt, um es ihm zu sagen, wird man ihn wahrscheinlich ebenfalls zu Tode erschrecken.
Wir geben Ihnen den Rat, noch mal über den Begriff »Schlafwandler« nachzudenken. Versuchen Sie ihn ab jetzt als Metapher zu sehen, so wie es Hermann Broch in Die Schlaf 304 wandler macht. In diesem großartig experimentellen Epos der Moderne – das eigentlich aus drei einzelnen, jeweils in sehr eigenem Stil geschriebenen Romanen besteht – benutzt Broch diesen Begriff, um Menschen zu beschreiben, die im Umbruch vom 19. zum 20. Jahrhundert zwischen zwei Wertvorstellungen festsitzen, einer alten und einer neuen.
Im ersten Teil der Trilogie geht es um den preußischen Adligen Joachim von Pasenow, einen Romantiker, der ein so starker Verfechter traditioneller Werte ist, dass er die standesgemäße, aber lieblose Ehe mit der emotional distanzierten Elisabeth eingeht. Aber Pasenow hat auch ein leidenschaftliches Verhältnis mit der sinnlichen Ruzena, einer böhmischen Prostituierten, mit der er nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden will. Im Zentrum des zweiten Buchs steht August Esch, ein bodenständiger, verlässlicher Buchhalter, aber auch ein Anarchist, der alles hinschmeißt, um als Schausteller zu arbeiten – nur um zu merken, dass ihm das auch nicht passt, und dann wieder Buchhalter zu werden. Im dritten Roman schließlich, in dem auch Pasenow und Esch wieder auftreten, haben wir es mit Huguenau, dem Opportunisten, zu tun, einem Mann, der betrügt, mordet und vergewaltigt, um das zu bekommen, was er will und der dafür nie irgendeine Quittung kriegt. Und wir sitzen als Leser, metaphorisch gesprochen, wie Schlafwandler, die nicht richtig schlafen und nicht richtig wach
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