Die Rose von Angelâme (German Edition)
Marie lächelnd zu. „Ein etwas länger dauerndes Projekt, wenn man bedenkt, wie wenig Wert gewisse Damen dieser Familie auf die genaue Wiedergabe ihrer Physiognomie legen.“
Marie nickte zustimmend und schmunzelte ebenfalls, als sie sich die alten, ziemlich verknöcherten Damen dieses ehrwürdigen Hauses vorstellte, die vermutlich diskret darum baten, man möge sie so malen, wie sie in ihren besten Jahren ausgesehen hatten. Oder zumindest zeitlich nicht allzu weit davon entfernt.
„Wenn Ihr möchtet, lasse ich nachfragen, ob er noch dort ist“, fuhr Sebastien fort und läutete nach einem seiner Angestellten.
Marie nickte. „Wenn Ihr ihn gefunden habt, lasst ihn doch gleich zu mir schicken.“
„Eine hübsche Idee, das Schloss malen zu lassen“, bemerkte Sebastien zustimmend und winkte den eingetretenen Schreiber zu sich heran, um ihm leise ein paar Anweisungen zu geben. Der Mann nickte und verließ das Zimmer mit einer angedeuteten Verbeugung in Maries Richtung. „Ich nehme an, ein Geschenk an den glücklichen Bräutigam?“, fragte der Anwalt, als sie wieder alleine waren.
„Jean-Philippe?” Marie warf Sebastien einen flüchtigen Blick zu, der ihm jedoch mehr sagte, als sie ihm hatte sagen wollen. „Oh ja, Jean-Philippe!“, beeilte sie sich deshalb zu sagen. „Nun, ich werde sehen. Lasst mich wissen, was Ihr über den Maler erfahren konntet.“
Marie war enttäuscht. Der Mann, der sich schließlich bei ihr vorstellte, hatte nicht im geringsten Ähnlichkeit mit dem Künstler, der ihren Vater gemalt hatte. Auch entsprach das, was er ihr zeigte, nicht ihren Vorstellungen. Wie hatte sie nur glauben können, man fände den Gesuchten so schnell? Außerdem war es ohnehin unvorstellbar, dass man ihn wieder fand, und der vor ihr stand war ihr aus tiefster Seele unsympathisch.
„Ich möchte, dass Ihr ein Bild für mich kopiert“, sagte sie deshalb zögernd. „Könnt Ihr Euch vorstellen, so etwas für mich anzufertigen?“
„Eine Kopie?” Der Maler sah sie erstaunt an. „Wovon?“
„Von einer Landschaft.“
Marie hatte jedoch bereits beschlossen, ihn nicht mit dem Auftrag zu betrauen. Deshalb erklärte sie ihm, dass sie es sich noch überlegen wolle, ließ ihn in der Küche bewirten und dann mit dem Bescheid, sich anders entschieden zu haben, weiterschicken.
Zwei Tage später kam Jeanette, das Hausmädchen, zu ihr gelaufen, als sie erneut am Fuße jenes kleinen Hügels stand, den sie für den alten Richtplatz hielt, und der sie inzwischen wie magisch anzog.
„Demoiselle!“, rief das Mädchen schon von Weitem und winkte mit den Armen. „Demoiselle, da ist ein Herr, der Euch sprechen möchte!“
Atemlos blieb sie vor ihr stehen.
„Was für ein Herr, Jeanette?“
Wie oft schon hatte sie versucht ihr beizubringen, wie sie ihr ordentlich gegenüberzutreten hatte. Gleichwohl: Jeanette schien für solche Anweisungen kein Ohr zu haben.
„Ein Maler, Demoiselle. Ein recht hübscher noch dazu“, beeilte sie sich zu ergänzen.
Ihre Herrin überhörte den Nachsatz geflissentlich. Es war nicht ihre Art, auf das Geplapper ihrer Dienstboten einzugehen, und schon gar nicht auf das der weiblichen.
„Ein Maler?“
Marie schaute zum Schloss hinüber.
„Ja. Er sagte, er suche Arbeit, und hätte sich gedacht, in so einem Schloss fände sich sicherlich etwas, das er rester-resta-“ Sie sah Marie hilflos an.
„Er sucht Arbeit als Restaurator?“
„Ja, so ungefähr. Honoré hat mich gleich zu Euch geschickt, Demoiselle.”
Man sah ihren strahlenden Augen an, dass ihre Wangen nicht nur vom Laufen gerötet waren.
„Ich werde ihn in einer halben Stunde empfangen“, beschied Marie sie knapp.
Jeanette lief mit hochgezogenen Rocksäumen zum Schloss zurück, und Marie folgte ihr wenig später in angemessenem Tempo.
Als sie die Tür des Korridors öffnete, der zum Arbeitszimmer ihres Vaters führte, sah sie im Gegenlicht einen hochgewachsenen jungen Mann interessiert die Ahnengalerie an der Flurwand betrachten. Er hatte sie gehört und wandte sich ihr zu. Dabei zog er mit einer eleganten Verbeugung seinen Hut.
„Ihr seid Maler?“, fragte Marie, als sie vor ihm stand.
„Ja, Demoiselle, das bin ich.“
„Euer Name?“
„Julien, Euer ergebener Diener.“
„Und wieso kommt Ihr ausgerechnet hierher?“
„Ich bin auf dem Weg von Paris in den Süden, Demoiselle, und muss mir unterwegs mein Brot verdienen. Als ich erfuhr, dass Ihr nach einem guten Maler sucht, habe ich mir erlaubt, hier
Weitere Kostenlose Bücher