Die Rose von Angelâme (German Edition)
anstatt es den gierigen Mönchen in den Rachen zu werfen.
Der junge Mann sah seinen König am Abend, nachdem jener in den geheimen Gewölben gewesen war, auf dem Weg über den Innenhof und erschrak. Das Gesicht Philipps schien zur Maske erstarrt und war aschfahl geworden. Pierre sah den Ausdruck ohnmächtiger Wut in den Augen seines Herrn und bekam weiche Knie.
Schnell sah er an ihm vorbei zu den neun der höchsten Würdenträger des Temple. Er versuchte zu verstehen, was vorgefallen war. Aber die Tempelherren gaben sich betont höflich und gleichgültig. Pierre hätte fast geglaubt, sich geirrt zu haben, wenn der König ihn nicht in diesem Augenblick entdeckt hätte. Er erstarrte, als ihn dessen Blick traf. Nie zuvor hatte er so viel Wut und Hass in einem Gesicht gesehen, und der junge Mann erkannte mit einem Mal, was sich dahinter verbarg.
Später erfuhr er von SaintMartin, dass Philipp zunächst wortlos die Schätze des Temple betrachtet und anfangs eher bedächtig zwischen den Tischen, Regalen und Truhen gegangen sei, während er sich die Ausführungen seiner Begleiter über die Herkunft der schönsten Stücke angehört hatte. Irgendwann habe er jedoch nur noch unwirsch abgewinkt, wenn einer der Herren ihm eine Erklärung hatte geben wollen, war immer schneller weitergegangen, und schließlich in den Hof gestürmt, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her.
Nach ein paar Tagen schien de Nogaret in Paris wieder Herr der Lage geworden zu sein. Das Volk hatte sich einigermaßen beruhigt, nachdem Ritter in den königlichen Farben aufgetaucht waren, die wenig zimperlich mit ihnen umgingen. Von den hohen Herren ließ sich keiner blicken. Sie fürchteten sich vor dem möglicherweise neu aufflammenden Zorn des Volkes.
Philipp kehrte nach ein paar Tagen ohne großes Aufsehen in seinen Palast auf der Île de la Cité zurück. Nach wie vor war er offiziellen Darstellungen zufolge zum Zwecke geschäftlicher Gespräche zu den Templern gegangen und dort von den Ausschreitungen überrascht worden.
Trotzdem blieb ein bitterer Nachgeschmack. Mochte sich der Pöbel auch wieder beruhigt haben: Man würde die Feigheit dieses Königs niemals vergessen.
SaintMartin und der Komtur des Temple hatten neben dem Tor gewartet, bis Philipp mit seinem Gefolge abgezogen war, dann standen sie noch einige Zeit beratend im Innenhof zusammen. SaintMartin gab knappe Anweisungen, die Unterkünfte der den König begleitenden Männer umgehend zu säubern, und die vom König bewohnten Räume wieder für den nächsten Gast herzurichten. Mit einer kleinen Prozession durch die Gasträume, während der die Brüder sakrale Lieder anstimmten und nach wertvollen Harzen duftende Weihrauchkessel schwangen, beendeten sie den denkwürdigen Besuch auf ihre Weise. Auch wenn niemand sich dazu äußerte, wussten doch alle, dass SaintMartin damit die Komturei vom Dunst der Feigheit und Gier befreite, der Philipp Tag und Nacht umgeben hatte. Denn ihm war der seltsame Gesichtsausdruck Philipps nach dessen Besuch in den Gewölben des Temple ebenfalls nicht entgangen, und er war sich einmal mehr als sicher, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte.
Er sollte recht behalten.
Der hinzugetretene Komtur wiegte den Kopf.
„Alles ist möglich“, sagte er beschwichtigend, als er SaintMartins zum wiederholten Male vorgebrachte Bedenken hörte. Die Erkenntnis, dass der Ritter recht haben könnte, trieb ihm winzige Schweißperlen auf die Stirn. „Die Gier nach fremdem Eigentum ist eine Sache, die der König mit sich und seinem Gewissen ausmachen muss“, fuhr er fort und wischte mit der Hand übers Gesicht. „Der König wird sich zunächst um das Volk kümmern müssen, das den Aufstand geprobt hat.“
„Der Zorn des Volkes richtet sich im Augenblick noch gegen die Finanzpolitik des Königs, ehrwürdiger Herr, das ist wohl wahr“, wandte SaintMartin mühsam beherrscht ein, der nicht fassen konnte, dass der Komtur vollkommen blind zu sein schien, was in diesem Zusammenhang auf die Templer zukommen könnte. „Aber das kann sich ändern.“
„De Nogaret hat die Leute beruhigt, und der König sagte, er bemühe sich, es nicht wieder zu einem Volksaufstand kommen zu lassen! Was für eine Gefahr sollte von diesen Leuten also ausgehen?”
„Verzeiht, Herr, aber ich bin der Meinung, da draußen braut sich mehr zusammen als ein Volksaufstand“, gab SaintMartin zu bedenken. „De Nogaret ist schlau genug, die Situation für sich auszunützen und den Pöbel gegen uns
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