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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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Flügel gingen noch nach außen auf, sie liebte das. Das Reetdach wölbte sich wie eine Mütze um ihren Ausblick, im Efeu am Gemäuer tschilpten Spatzen. Julia atmete tief durch. Die Luft roch klar, rein und frühsommerlich, in der Nähe musste ein Weißdorn blühen.
    Sie schlich die Treppe nach unten. Aus dem Obstkorb in der Küche stibitzte sie einen knackigen Apfel. Draußen wandelte sie benommen durch den taubedeckten Bauerngarten in den verwilderten Teil. Zum Anbeißen frisches Grün spross aus Bäumen und Sträuchern. Viele Rhododendren wuchsen unter Kiefern und Eichen, zuweilen umeinander verschlungen und sparrig vom Alter. Julia schlängelte sich durch das dämmrige, teils von Sturmbruch gelichtete Wäldchen. Sie bemühte sich, nicht auf die wuchernden Vergissmeinnicht- und Maiglöckchenkolonien zu treten. Über dem See mit seinem romantischen Reetgürtel kündigte sich der Sonnenaufgang an.
    Julia zog ihre Jacke enger um die Brust. Etwas in ihrem Innern schmerzte, so süß und sehnsüchtig wie Fernweh an einem blauen Apriltag mit hohen weißen Wolken. Der Gesang der Vögel klang in ihren Ohren wie Reisebeschreibungen ins Glück, Julia sah auf den See und ließ sich im Geiste tragen von den Wellen. Sie merkte, dass Tränen über ihr Gesicht kullerten. Was war nur mit ihr los?
    Du bist verliebt, dumme Kuh. Schon wieder und doch ganz anders als sonst. Richtig heftig. Wie noch nie zuvor. Ein künftiger Lord. Verrückt. Der Enkel der Frau, die ihr Großvater wahnsinnig geliebt hatte. Vielleicht vererbte sich eine richtig große Liebe irgendwie? Vielleicht steckte in ihren Genen eine Erinnerung daran, und deshalb musste sie Max lieben.
    Aber wenn er wirklich so ein Frauenheld war und zu jedem Event mit einer anderen Schönen auftrat, konnte er wohl nicht treu sein. Dann meinte er es auch mit ihr nicht ernst. Überhaupt, was sollte so einer ausgerechnet an ihr finden, an einer Ammerländer Baumschulistin mit schiefen Zähnen, die immer ein paar Kilo Übergewicht mit sich herumschleppte. Wo er doch die aufregendsten Adelsdamen haben konnte. Viel reichere, schönere und berühmtere Frauen als sie.
    Auf der anderen Seite … Es war ja nicht so, dass sie nichts zu bieten hätte. Und überhaupt, da schwang doch schon lange etwas zwischen ihnen, etwas ganz Besonders.
    Spüren, was ist, und nicht werten.
    Julia hörte es im Unterholz knacken. Max. Er kam näher. Schnell wischte sie ihre Tränen ab.
    »Morgen«, rief er leise, »hab dich vom Fenster aus gesehen.«
    Als er vor ihr stand, stockte ihr Herz für einen Moment. Er lächelte umwerfend, seine Augen strahlten an diesem Morgen dunkelblau und hatten türkisfarbene Einsprengsel. Max nahm einfach ihre Hand. Die Berührung versetzte ihr einen kleinen Stromschlag.
    »Komm, da vorn bei der Bank muss Gustavs alte Lieblingsstelle sein.«
    In seiner Stimme hörte Julia noch den Schlaf – eine Färbung, gänzlich unverstellt, die sie rührte und Zärtlichkeit in ihr auslöste. Ein Timbre, das zugleich auch wahnsinnig sexy klang.
    Hand in Hand schlugen sie sich durch den kleinen Dschungel in Richtung Seeufer. Sie balancierten über umgekippte Baumstämme, sprangen über Pfützen im hohen Gras. Julia stolperte immer wieder, auf einmal stellte sie sich ungeschickt an. Jetzt strahlte Max Sicherheit aus.
    Rötliches Licht flutete den wolkigen Himmel und spiegelte sich im See. Abrupt blieb Max stehen. Ungläubig schaute er ins Dickicht. Unter halb verrotteten Reetbündeln leuchteten ihnen geradezu überirdisch schöne scharlachrote Blüten entgegen. Die Rose von Darjeeling!
    »Das glaube ich nicht!« Demütig staunend bewunderte Julia die Perfektion. Das wächsern durchscheinende Blütenblatt, diese unglaubliche Farbe! Sie schnupperte daran. »Wahnsinn!« Und sie musste zugeben: Dieser Zauber fehlte ihrer Nachzüchtung.
    Auch Max sog den zarten blumigen Duft ein, der den großen Busch umwehte. Er drückte Julias Hand und flüsterte: »Hier haben heute Nacht Feen getanzt«. Kein Zweifel, dieser Rhododendron besaß eine eigene Aura.
    Sie schauten sich tief in die Augen. Langsam strich Max Julia eine Strähne aus dem Gesicht.
    Wann küsst er mich denn endlich?, dachte sie. Es ist ja nicht auszuhalten! Sie hatte das Gefühl, in ihren Fingern steckte so viel Elektrizität, dass sie damit ein Feuer entzünden könnte. Schwindel befiel sie, sodass sie schon fürchtete, ihren ersten Kuss nicht mehr bei Bewusstsein zu erleben.
    Max nahm sie in seine Arme. »Was hältst du davon, wenn wir

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