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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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keinen Besuch.
    Irgendwann fing sein Gedächtnis an, ihm Schnippchen zu schlagen. Die Nachbarn sagten bald: »He is in’t Kindheit«. Seine Haushälterin alarmierte Hella Jonas, die in Osnabrück als Lehrerin arbeitete. »Er darf nicht mehr allein sein. Er macht den Herd an und vergisst, ihn auszuschalten. Er versteckt sein Geld im Schrank und behauptet, es sei ihm geklaut worden. Er spült Scheine im Klo weg, und manchmal fantasiert er auch irgendwas von Indien und Teegärten.«
    Hella kam in den Schulferien, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Sie versuchte, sich ihrem Vater anzunähern und ihm zu helfen. Doch er hatte sich nie besonders für sie interessiert. Sie war für ihn immer die Enttäuschung gewesen, eben kein Sohn, noch dazu eine Brillenschlange mit mausigen Haaren. Da war keine Liebe zwischen ihnen.
    Gustav hatte Angst. Die Welt entglitt ihm. Immer öfter verlor er die Orientierung. Seine Schritte glichen zunehmend einem Tippeln, dauernd musste er zur Toilette. Nachts wachte er auf und wusste nicht, ob er sich auf einer Expedition, in Berlin, im Krieg oder im Ostfriesland seiner Kinderzeit befand. Er lief weg und verirrte sich. Fremde oder die Polizei brachten ihn nach Hause.
    Er wollte zu Nachbars Brunnen. »Mein Freund Carl wartet auf mich«, erklärte er. Aber sie brachten ihn wieder ins Ammerländer Bauernhaus, zu dieser unfreundlichen Frau, die behauptete, seine Tochter zu sein. Und die, nur um ihn zu ärgern, nie Tee, sondern Kaffee trank.
    Manchmal schlug er nach Hella, wenn sie ihm beim Anziehen helfen wollte. Sie wusste, er litt an Demenz. Es war keine Absicht, die Krankheit veränderte die Persönlichkeit. Doch ihr Vater machte sie wütend, eigentlich aktivierte er nur die Wut, die sie immer unterdrückt hatte, die in ihr schwelte, solange sie denken konnte. Weil er sie nie richtig beachtet hatte.
    »Ich bin dir nichts schuldig!«, schrie sie ihn irgendwann an.
    Hella stellte einen ausgeklügelten Plan mit mehreren Pflegediensten zusammen und engagierte eine geschulte Polin, die fortan im Haus wohnte. Nur Hendrike kam Gustav ab und zu noch besuchen. Gustav erkannte sie meist und gab ihr ein Päckchen Tee mit. Sie spazierten im nahen Ort Dreibergen und unternahmen auch mal von dort aus eine Dampferrundfahrt über den See. Eines Tages, nachdem sie im Ausflugslokal am Anleger gegessen hatten, wollte Gustav unbedingt auf einen der drei kleinen Berge klettern, der höchste maß zwölf Meter. Hendrike fand das komisch. Früher der Himalaya, heute Dreibergen!, dachte sie. Bei diesem Spaziergang stürzte Gustav. Er kam mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus und baute rapide ab. Nur gelegentlich blitzte der Verstand noch einmal durch.
    In einem solchen Moment hörte Hella seine letzten klaren Worte. Gustav lachte dabei hämisch, triumphierend. Er sagte: »Am Ende hat die Rose von Darjeeling doch nur mir ganz allein gehört!«
    1979 widerfuhr Kathryns Familie auf Jersey ein kleines Wunder. Als wirklich niemand mehr damit gerechnet hatte, kündigte sich doch noch Nachwuchs bei Charles und seiner dreiunddreißigjährigen Frau Alexandra an. Kathryns Sohn war bereits achtundvierzig Jahre alt, als er sein erstes Kind, Maximilian, in den Armen hielt. Alexandra glaubte fest, frisch gepresster Petersiliensaft zum Frühstück und ein paar andere Naturheilkundemittel des Apothekers Louis Laurent hätten dazu beigetragen, dass sie doch noch schwanger geworden war.
    Niemand war glücklicher über den kleinen Maximilian als Kathryn. Sie hoffte insgeheim, dass ihr Enkel mehr Ähnlichkeiten mit Carl hatte als ihr Sohn Charles, der unstrittig ein typischer Whitewater war.

Ammerland
    Mai 2010
    Im Haus kam Hella gut ohne Rollator zurecht. Als es unerwartet an der Tür schellte, dachte sie zuerst an einen Klingelstreich, doch es schellte noch einmal, und sie öffnete. Dort stand ihre Fußpflegerin mit einem Paar. Sie wusste, wer die Frau war, aber der Mann … Hella wurde kreidebleich. Mit einer Hand krallte sie sich am Türrahmen fest.
    »Moin, Hella!«, sagte Gerda fröhlich. »Wir haben dir warme Berliner mitgebracht vom Schweinerennen. Können wir uns wohl bei dir einen Tee abholen?«
    Hella ter Fehn holte tief Luft. Sie war eine altgediente Lehrerin und so schnell durch nichts zu erschüttern.
    »Moin, Gerda«, sie sah Julia und Max durchdringend an. »Na, dann kommt man rein.«
    Gerda wollte Julia vorstellen, aber Hella winkte ab. »Dich kenn ich doch«, sagte sie unfreundlich, »du bist die Enkelin von

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