Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
nichts.
»Das tut mir leid«, murmelte er, schenkte den Wein ein und sah zu, daß er davonkam.
Franca überlegte, ob sie das Thema wechseln sollte, und zerbrach sich den Kopf, worüber sie nun sprechen konnten. Aber Helene schien gar nicht darauf aus zu sein, sich von ihren trüben Gedanken ablenken zu lassen.
»Ganz gleich, wieviel Zeit vergeht«, sagte sie leise, »immer wenn der Frühling kommt, immer ab Mitte April, scheint das alles kein Jahr zurückzuliegen. Dann ist es so, als wäre es gestern gewesen... als wäre das alles gerade eben erst geschehen.«
»Es ist nicht so leicht, so jung Witwe zu werden«, meinte Franca etwas unbehaglich.
»Ach, wissen Sie, das war nicht das Schlimmste«, sagte Helene. Sie trank hastig von ihrem Wein, der schnell Wirkung zeigte und ihre Zunge zu lösen begann.
»Das Schlimme waren die Umstände«, sagte sie, »darüber komme ich nicht hinweg.« Sie starrte in ihr Glas, das sie schon fast leer getrunken hatte. »Sie werden das vielleicht schockierend finden, Franca, aber unter der Tatsache, daß Erich nicht mehr da war, habe ich nie so sehr gelitten. Unsere Ehe... war nicht besonders glücklich. Ich war immer bedrückt, wenn Erich in meiner Nähe war. Das ist mir erst hinterher wirklich klargeworden. In seiner Gegenwart konnte ich nicht lachen, nicht unbeschwert sein. Nicht jung sein. Ich war achtzehn, als ich ihn heiratete, und vom Tag meiner Hochzeit an fühlte ich mich wie eine alte Frau, die nur zufällig in einem jungen Körper steckte.«
»Er war wohl ein sehr schwieriger Mensch«, sagte Franca, an
Beatrices Erzählungen denkend, »selbst eine ältere Frau hätte es schwer mit ihm gehabt, aber für eine Achtzehnjährige muß es ziemlich schlimm gewesen sein.«
»Er war launisch, depressiv, aufbrausend, rachsüchtig und sentimental«, sagte Helene, und Franca dachte, daß sie Erichs Charaktereigenschaften erstaunlich präzise und sachlich auflistete. »Ich konnte erst zu leben beginnen, als er tot war. Insofern...« Sie sprach nicht aus, was sie dachte, eine Art abergläubische Furcht schien sie zurückzuhalten.
»Nun, egal«, sagte sie statt dessen, »er war der Mensch, der er war. Er konnte so wenig aus seiner Haut heraus wie wir alle. Und es ist sehr lange her. «
Sie lauschte ihren Worten nach, schien über die Jahre zurückzublicken zu einer Zeit, in der sie jung gewesen war und noch geglaubt hatte, das Leben werde wenigstens einen Teil seiner Versprechungen einlösen.
»Es ist sehr lange her«, wiederholte sie.
»Wie...«, begann Franca vorsichtig, »ich meine, wie ist Ihr Mann denn gestorben?«
Es schien ihr tatsächlich noch immer weh zu tun, daran zu denken oder darüber zu sprechen.
»Hitler-Deutschland lag in Trümmern«, sagte sie. »Sie wissen wohl, wie schrecklich das Ende war? Eine Art Weltuntergang. Das Strafgericht der Sieger stand bevor, und es war klar, daß man Milde nicht erwarten konnte. Am 9. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Besatzer hier auf den Inseln. Eine gute Woche zuvor, am 1. Mai, nahm Erich sich das Leben.«
»Er hat sich selbst umgebracht?«
»Wie sein Führer. Das heißt, er wollte es seinem Führer gleichtun und sich eine Kugel in den Kopf schießen. Ich weiß nicht, ob ihn im letzten Moment der Mut verließ oder ob er sich ungeschickt anstellte... Die Kugel traf ihn mitten in die Brust. Er war keineswegs sofort tot. Er verblutete. Über Stunden hin. Er quälte sich entsetzlich. «
»Waren Sie bei ihm?«
Helene nickte. »Die ganze Zeit. Ich hielt seinen Kopf in meinem Schoß und sprach beruhigend auf ihn ein. Ich sagte ihm, alles
werde gut werden... Aber es war kein Arzt zu bekommen, das war das Schlimme. Es herrschte das totale Chaos, alles ging drunter und drüber. Kein Mensch interessierte sich für Erichs Schicksal. Irgendwann bekam er Fieber, er rief um Hilfe... Es war brütend heiß... dazu der Hunger, das Blut...« Sie schauderte.
»Nie«, sagte sie, »werde ich diesen furchtbaren Tag vergessen. Nie habe ich etwas ähnlich Grausiges erlebt. Und ich hoffe, es bis zu meinem eigenen Ende nicht mehr zu erleben.«
Sie wartete nicht auf den Kellner, sondern schenkte sich selbst Wein nach.
»Vielleicht sollten wir von etwas anderem reden«, meinte sie schließlich.
Daheim probierte Franca vor dem Spiegel in ihrem Zimmer noch einmal die neuen Kleider an. Sie drehte und wandte sich, lächelte ihrem Bild zu. Irgendwie, fand sie, sah ihr Gesicht zu blaß aus. Zu ihren alten Sweatshirts und ausgebeulten Hosen hatte
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