Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
hochbrisanten Problem geworden.«
»Helene scheint über die Art, wie ihr Mann gestorben ist, kaum hinwegzukommen. «
»Sie bewies eine erstaunliche Tapferkeit an diesem Tag. Sie blieb wirklich bis zu seiner letzten Sekunde bei ihm. Stunde um Stunde. Manch einer wäre sicher wegglaufen. Aber sie harrte aus.« Beatrice schwieg nachdenklich. »Das war einer der wenigen Momente«, sagte sie dann, »in denen ich sie wirklich bewunderte.«
Der Weg führte nun steiler bergab, wurde schmaler und steiniger. Die Hunde rannten ihn laut bellend hinunter, schwanzwedelnd und unbekümmert.
Franca schaute bewundernd zu, mit welch einer Anmut und Leichtigkeit die siebzigjährige Beatrice den Abstieg bewältigte. Sie versuchte sie sich als junges Mädchen vorzustellen, das sich in einer hellen Spätsommernacht zwischen den Felsen und Höhlen
mit einem jungen Mann traf, in einer Situation, die Lebensgefahr bedeutete, der aber dennoch keiner von beiden hatte widerstehen können.
»Haben Sie sich mit Julien noch jemals im Freien getroffen?« fragte sie. »Wie in der ersten Nacht?«
Sie waren unten angelangt. An der steinernen Mauer, die die Petit Bôt Bay zur Straße hin abschirmte, war ein Schild angebracht, das Hunden den Zutritt zur Bucht erst ab dem 1. Mai untersagte, und so konnten sie sie noch mit an den Strand nehmen. Sie kletterten über ein paar felsige Steine und standen im hellen Sand. Das Meer war friedlich und glatt an diesem Tag, in ruhigen Wellen trieb es zum Ufer, lief als weißer Schaum den Sand hinauf, ließ Schlick und Algen und kleine Muscheln zurück. Die Hunde jagten in wilden Sprüngen an der Brandung entlang. Beatrice schaute über das Wasser, atmete tief und in einer Art hingebungsvollem Glück.
Sie liebt diese Insel, ist verwachsen mit ihr, dachte Franca. Ganz gleich, wohin sie sich früher einmal gesehnt hat - heute könnte sie nirgendwo anders mehr leben.
»Wir sind noch oft in den Nächten hinausgegangen«, antwortete Beatrice auf Francas Frage. »Sie müssen sich vorstellen, daß sich Julien vier Jahre lang versteckt halten mußte. Manchmal konnte er es wirklich kaum noch aushalten. Dieser enge Dachboden, dessen Wände so schräg waren, daß er überhaupt nur an einem Punkt des Raumes aufrecht stehen konnte, die Langeweile... Er war ein junger, kräftiger Mann, er konnte einfach nicht jahrelang nur von morgens bis abends Bücher lesen. Dazu kamen die deprimierenden Nachrichten aus seiner Heimat Frankreich, die ständige Sorge um seine Familie, um Freunde. Manchmal, wenn er nachts umherstreifte, hatte es fast den Anschein, als provoziere er geradezu die Möglichkeit, geschnappt zu werden, als gehe er ganz bewußt das Risiko ein, nur um endlich eine Veränderung herbeizuführen. Vielleicht sehnte er sich fast danach, erschossen zu werden und alles zu beenden.«
»Aber er brachte auch Sie in Gefahr!«
»Es war nicht so, daß wir einander immer trafen, wenn er nachts unterwegs war«, berichtigte Beatrice. »Oft zog er allein los,
und ich erfuhr erst am nächsten Tag oder Tage später davon. Dann fing ich noch nachträglich an zu zittern. Die Lage der Deutschen verschlechterte sich an allen Fronten, es war ein wenig so wie bei Tieren, die in die Enge getrieben werden. Sie wurden immer gefährlicher. Zu Anfang hatten sie sich als Sieger aufgespielt, hatten geprotzt und geprahlt und waren einfach unangenehm gewesen. Aber ihre Siegestrunkenheit hatte sie auch ein wenig leichtsinniger sein lassen, man hatte sie besser austricksen, seine eigenen Sachen machen können. Nun wurde ihnen langsam die Luft dünn. Sie waren nicht mehr siegestrunken. Öffentlich durfte keiner von ihnen am Endsieg zweifeln, aber ich denke, daß nur noch die wenigsten daran glaubten. Sie wurden aggressiver, witterten Bedrohung an allen Ecken und Enden. Die Katastrophe von Stalingrad hatte endgültig die Wende gebracht, es ging bergab, wie laut die braunen Machthaber jenseits des Kanals auch das Gegenteil behaupten mochten. Der Anfang vom Ende war da. Das versuchte ich Julien immer wieder klarzumachen. Ich sagte, ich sei sicher, daß er nicht mehr lange würde aushalten müssen, aber meine Worte erreichten ihn nicht wirklich. Seine Verzweiflung wuchs.«
»Er liebte Sie immer noch?« fragte Franca.
Beatrice setzte sich auf einen Felsen und klopfte einladend mit der Hand neben sich auf den Stein. »Setzen Sie sich. Ich möchte mir ein bißchen die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen. Ich werde Ihnen von meiner und Juliens Liebe
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