Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
es gepaßt, aber jetzt verdarb es den Gesamteindruck. Sie kramte in ihrer Kosmetiktasche, förderte Wimperntusche und einen Lippenstift zutage. Vorsichtig färbte sie ihre Wimpern und betrachtete entzückt die Wirkung: Ihre Augen sahen viel ausdrucksvoller aus, wirkten größer und leuchtender. Sollte sie ihre Lippen anmalen? Der Lippenstift hatte ein ziemlich kräftiges Rot, sie hatte ihn als Gratisprobe in einer Drogerie bekommen.
Egal, dachte sie, ich kann die Farbe ja ohne weiteres wieder abwischen.
Der Effekt war überraschend: Das Rot harmonierte perfekt mit der Farbe des Leinenkleides, das sie trug, und es paßte wunderbar zu ihren blonden Haaren. Die Lippen, voller und sinnlicher als sonst, gaben ihr einen verführerischen Gesichtsausdruck. Sie sah sehr weiblich aus, selbstbewußter und herausfordernder.
Nicht mehr wie ein scheues Kaninchen, dachte sie, sondern wie...
Sie überlegte, mit welchem Tier sie besonders gern verglichen würde. Ihr Lieblingstier war die Katze.
Eine Katze? fragte sie ihr Bild und lächelte. Natürlich, sie war eine schlanke, geschmeidige Katze mit grünen Augen und hellem,
glänzendem Fell. Sie lächelte noch einmal, und dann dachte sie: O Gott, welch ein Unsinn! Wie kann eine erwachsene Frau nur einen solchen Blödsinn im Kopf haben! Mit dem Handrücken wischte sie sich hastig den Lippenstift vom Mund. Idiotisch, plötzlich zur Femme fatale werden zu wollen. Die Rolle lag ihr nicht, sie hatte sie nie gespielt, und das aus gutem Grund. Es hatte keinen Sinn, ein schickes Kleid anzuziehen, sich Farbe ins Gesicht zu pinseln und zu glauben, man sei dadurch ein anderer Mensch. Zu einer verführerischen Frau gehörte mehr als elegante Kleidung und ein aufwendiges Make-up. Sie mußte Selbstbewußtsein ausstrahlen, Sicherheit, Vertrauen in sich und ihre Wirkung. Sie mußte Gelassenheit verkörpern und Souveränität.
Und von all diesen Eigenschaften fühlte sich Franca meilenweit entfernt. Sie war nicht einmal sicher, ob sie ihr einfach nur abhanden gekommen waren. Sie fürchtete, daß sie sie nie besessen hatte.
Es klopfte an der Tür, und Beatrice streckte ihren Kopf ins Zimmer. »Franca? Störe ich? Ich wollte...« Sie unterbrach sich und sagte erstaunt: »Sie sehen aber gut aus! Ist das Kleid neu? Es steht Ihnen ausgezeichnet!«
Franca zerrte am Reißverschluß. »Ich... es war nur so eine dumme Idee... Helene meinte, ich solle mir etwas zum Anziehen kaufen, aber...« Sie geriet fast in Panik, weil sie den Reißverschluß nicht aufbekam.
Beatrice trat ein. »Diesmal hatte Helene keine dumme Idee. Sie sind eine attraktive Frau, Franca, und das sollten Sie jedem zeigen. Kommen Sie, ich helfe Ihnen mit dem Reißverschluß. Sie machen das Kleid sonst noch kaputt!«
Franca streifte das Kleid ab wie eine zweite Haut, in der sie sich nicht wohl fühlte.
»Die Frage ist doch«, sagte sie, »wozu man sich so etwas kauft! Es muß irgendeinen Zweck haben, und in meinem Fall ist es einfach sinnlos und überflüssig! «
Beatrice starrte sie an. »Wie alt sind Sie?«
» Vierunddreißig. «
»Vierunddreißig! Ein wunderbares Alter! Ich sage Ihnen, Franca, die nächsten zwölf Jahre werden die besten Ihres Lebens sein. Nutzen Sie sie, um Gottes willen! Ziehen Sie sich jetzt nicht
in sich selbst zurück, und meinen Sie nicht, alles hätte keinen Sinn mehr!«
Franca schlüpfte in Shorts und T-Shirt. »Ich kam mir einfach albern vor, mich hier vor dem Spiegel hin und her zu drehen. Es erschien mir plötzlich so lächerlich.«
»Ich glaube eher, Sie fangen ganz langsam an, normal zu werden. Wissen Sie was? Sie begleiten mich und die Hunde jetzt zu einem schönen, langen Spaziergang. Sie müssen unbedingt ein bißchen Farbe bekommen!«
Als sie hoch über dem Meer den Klippenpfad entlanggingen, umtobt von den drei begeisterten Hunden, sagte Franca: »Ich habe heute mit Helene zu Mittag gegessen. Sie erzählte mir vom Tod ihres Mannes. Es muß damals ziemlich schlimm gewesen sein.«
»Das war es«, bestätigte Beatrice. »Sie wissen, daß er sich in die Brust geschossen hat? Er litt einen langen Todeskampf. Und es war kein Arzt aufzutreiben.«
»Nicht einmal Maes Vater?«
»Der war auch irgendwo auf der Insel unterwegs. Es ging alles drunter und drüber in diesen Tagen. Überall wurden händeringend Ärzte gebraucht. Viele Menschen hier waren ja halb verhungert. Die Inseln waren seit fast einem Jahr von der Außenwelt abgeschnitten. Die Ernährungsfrage war schon lange zu einem
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