Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Wahrheit keinen Grund, noch immer auf Guernsey zu sein, aber irgend etwas hielt ihn davor zurück, in das nächste Flugzeug zu steigen und nach London zu fliegen. Er hatte nie dazu geneigt, sich selbst zu belügen — manchmal mutmaßte er, er wäre nicht Alkoholiker geworden, hätte er die Kunst der Selbsttäuschung besser beherrscht —, und so gestand er sich auch an diesem Mittag in The Terrace ein, daß ihn die Angst vor seiner leeren Wohnung zurückhielt, die Angst vor seinem leeren Leben.
Er hatte es immer gehaßt, nach Hause zu kommen und von niemandem erwartet zu werden. Einen Mann seines Alters hätte eine Frau begrüßen müssen, zwei etwas bockige Kinder, die kurz vor ihrem Eintritt ins Teenageralter standen, ein schwanzwedelnder Hund und eine schnurrende Katze. Man hätte ihn überfallen müssen
mit so brennenden Neuigkeiten wie der, daß die Putzfrau gekündigt hatte, die Mathematiklehrerin ungerechte Noten gab und man mit der ehemals besten Freundin nie wieder ein Wort reden würde.
»O Gott«, würde er dann sagen, »darf ich mir vielleicht erst einmal die Hände waschen und mich hinsetzen?« Und sie würden ihm ins Bad folgen und weiter auf ihn einreden, und er würde nicht dazu kommen, sich einen Whisky einzuschenken, weil ihm gar nicht die Zeit dazu bliebe. Er würde auch nicht dieses Vakuum in sich, in seinem Leben spüren, das es notwendig machte, zum Alkohol zu greifen, um es ertragen zu können.
Ein verpfuschtes Leben, dachte er, und die Hoffnungslosigkeit umklammerte ihn trotz der Hitze des Tages mit eiskalten Fingern. Ein restlos verpfuschtes Leben.
Vielleicht kam ihn auch deshalb Helenes Tod so hart an. Vielleicht hätte ihn jeder Todesfall im näheren Verwandten- oder Bekanntenkreis zu diesem Zeitpunkt tief getroffen. Ein Leben, das jäh zu Ende ging, wies ihn mit grausamer Deutlichkeit auf die zeitliche Begrenzung hin, die ihm zugedacht war wie jedem anderen Wesen unter der Sonne. Auch wenn es wohl auszuschließen war, daß man ihn einmal mit durchschnittener Kehle auf einem Feldweg liegend finden würde, so würde er vor dem endgültigen Aus stehen mit derselben Unausweichlichkeit, mit der auch Helene mit ihrem Ende konfrontiert worden war. Helene hatte ihr Leben oft als vertan bezeichnet. Genau wie er. Wie bitter mochte es sein, mit dieser Erkenntnis zu sterben.
Er überlegte, ob er die Energie aufbringen würde, sich zu erheben und ein drittes Glas Wein zu holen, und wollte gerade aufstehen und sich noch einmal in die Schlange am Tresen einreihen, da sah er Maja auf sich zukommen.
Sie näherte sich ihm so zielsicher, daß ihm klar wurde, sie hatte ihn längst gesehen, und es hatte keinen Sinn mehr, sich zu ducken und so zu tun, als sei man gar nicht da. Er dachte daran, wie freudig er früher jedes zufällige Zusammentreffen mit ihr begrüßt hatte, denn in jeder Begegnung hatte er eine Chance für sie beide gesehen. Es war neu für ihn, sich in ein Mauseloch zu wünschen, um nicht mir ihr sprechen zu müssen.
Wahrscheinlich, dachte er fast verwundert, fühlte es sich so an, wenn eine Beziehung endgültig vorbei ist.
Er stand auf, um sie zu begrüßen. Ihre Lippen wirkten kühl auf seinen Wangen. Sie war ungeschminkt, und er sah, daß sie verweinte Augen hatte.
»Hallo, Maja«, sagte er.
»Ich stand drüben bei der Kirche«, erklärte sie, »da habe ich dich hier sitzen sehen. Ich wollte wissen, ob du es wirklich bist. Ich dachte, du seist längst wieder in London!«
»Nein, bin ich nicht«, entgegnete er etwas lahm und wies dann auf den Stuhl, der auf der anderen Seite seines Tisches stand. »Möchtest du dich nicht setzen? Ich wollte mir gerade noch ein Glas Wein holen. Kann ich dir eines mitbringen?«
»Bring mir ein Wasser mit«, sagte sie und fügte mit einem kaum merklichen Zögern hinzu: »Bitte. Ich vertrage Alkohol bei dieser Hitze nicht.«
Er trat in das Innere des Cafes und stellte sich in die Schlange, die sich nur langsam vorwärtsbewegte. Die meisten Leute wollten um diese Zeit etwas essen und taten sich schwer mit der Entscheidung. Alan blickte hinaus zu dem Tisch, an dem Maja saß. Sie kramte in ihrer Handtasche, zog ihre Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Für gewöhnlich hätte sie diese Geste genutzt, sich in Szene zu setzen, ihre langen Haare zurückzuwerfen, die Beine übereinanderzuschlagen und einen herausfordernden Blick in die Runde zu senden, ehe sie ihre Augen mit den sinnlichen langen Wimpern hinter dunklen Gläsern verbarg.
Doch diesmal
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