Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
steigen, türmen sich auf, hoch, bedrohlich. Sie schwellen immer mehr an. Doch dann ist der Scheitelpunkt erreicht. Sie kippen und stürzen in sich zusammen. Und dann rollen sie ganz flach und schäumend über den Sand.« «
    Sie schob ihr Glas von sich. »Ich bin entsetzlich müde. Glauben Sie, wir könnten jetzt fahren?«
    Sein Glas war wieder leer. Normalerweise hätte er nun weitergetrunken bis zur Besinnungslosigkeit, er befand sich genau auf der richtigen Schiene. Aber vielleicht sollte er ihrer Bitte nachkommen und es als Fügung betrachten. Jetzt mit ihr nach Hause zu gehen, würde ihn vor einem fürchterlichen Absturz bewahren - und vor einem äußerst schmerzhaften Kater am nächsten Morgen.
    »Okay«, gab er nach, »wir gehen.« Er stand auf. Es machte ihn fast verrückt, die goldfarbene Flüssigkeit in ihrem Glas zu betrachten - den Whisky, den sie nicht mehr trinken würde und den er... Nein, er würde es nicht tun. Sogar die labile Person hatte es ohne Droge geschafft; es war das mindeste, es ihr jetzt gleichzutun.

    »Sie sollten an diesen Tag immer denken«, sagte er, als sie nebeneinander hinaus in die Dunkelheit traten. Die frische, salzhaltige Luft tat ihnen gut. »Sie sollten sich erinnern, wie es war, als die Panik kam und Sie ihr nichts entgegenzusetzen hatten. Wie es sich anfühlte, als sie anstieg und anstieg und Ihnen den Atem nahm und Sie dachten, Sie müßten sterben. Und wie sie dann in sich zusammenfiel. Wie Sie wieder atmen konnten, ruhig und gleichmäßig. Wie das Zittern aufhörte. Wie die Gedanken wieder klar wurden und Sie feststellten, daß Sie am Leben bleiben würden. Und so wird es immer sein.«
    »Wie wird es sein? « fragte sie verwirrt.
    »Sie werden nie daran sterben. Sie werden Ihre Panik jedesmal überleben. Das bedeutet, Sie müssen nicht halb soviel Angst haben, wie Sie jetzt empfinden.«
    Sehr leise sagte sie: »Ich habe aber Angst. Und ich glaube, ich werde nicht aufhören können, mich zu fürchten.«
    »Vielleicht doch. Wenn Sie an diesen Tag denken.« Er schloß die Autotür auf. »Es war bestimmt das erste Mal seit sehr langer Zeit, daß Sie eine Panik durchgestanden haben, oder?«
    »Ja.«
    »Sie sollten stolz darauf sein. Und sich als Siegerin fühlen. Was Sie einmal geschafft haben, das schaffen Sie immer wieder.«
    Sie schloß für einen Moment die Augen. »Bitte, fahren Sie jetzt.«
    »Wir holen noch Ihr Gepäck bei Reza Karim«, schlug er vor, »okay?«
    Sie antwortete nicht. Sie lehnte den Kopf zurück, vertrauensvoll wie ein kleines Kind.
    Dieser Tag konnte ja nicht anders enden, dachte er resigniert, ich hätte einfach nicht herkommen sollen.
    Er warf einen letzten kurzen Blick zu Majas Fenstern hinauf.
    In der Wohnung war es noch immer dunkel.

3
    Dieser schreckliche Doppelgeburtstag, der jedes Jahr mit soviel Brimborium gefeiert werden muß, dachte Beatrice gereizt.
    Ihr selbst hätte es überhaupt nichts ausgemacht, den 5. September stillschweigend zu übergehen. Sie fand, daß es nicht unbedingt Grund für eine fröhliche Festlichkeit gab, wenn man schon wieder ein Jahr älter wurde, und schon gar nicht, wenn man erst mal über siebzig war. Sehr viel Gutes würde das Leben kaum noch bringen, und sie haßte es, wenn die Gratulanten in ihrem Bemühen, die bittere Pille zu versüßen, genau das immer behaupteten.
    »Du wirst sehen, Beatrice, das Leben hält noch Turbulenzen bereit«, hatte Mae gesagt, sie an sich gedrückt und ihr ein Hermès-Tuch überreicht. Beatrice würde das Tuch nie tragen, und Mae wußte das, aber sie war fest entschlossen, in ihrem Bemühen, Beatrice zur feinen Dame umzustylen, nicht nachzulassen.
    »Steter Tropfen höhlt den Stein«, sagte Mae oft, aber Beatrice hatte nicht den Eindruck, daß dies in ihrem Fall zutreffen würde.
    »Aber, Mae, auf Turbulenzen habe ich gar keine Lust«, hatte sie gesagt, und Mae hatte erwidert, nach Lust oder Unlust werde man im Leben nie gefragt, grundsätzlich nicht. Mae liebte philosophisch angehauchtes Geplänkel - hirnlose Amateurpsychologie nannte Beatrice das im geheimen.
    Sie hielt sich abseits an diesem Tag, überließ es Helene, Mittelpunkt und gefeiertes Geburtstagskind zu sein. Helene wollte das Fest, Jahr für Jahr, und nie brachte es Beatrice fertig, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Obwohl sie sich gräßlich fühlte, versöhnte sie zumindest Helenes glücklicher Gesichtsausdruck mit dem Gewaltakt, den sie sich antun mußte. Helene sah oft unfroh und frustriert aus, aber an diesem Tag

Weitere Kostenlose Bücher