Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
hatte der Sommer eingesetzt. Die Menschen hatten in Scharen an den Straßenrändern gestanden und gejubelt, und die Blumen auf den geschmückten Umzugswagen hatten in der Sonne geleuchtet und einander in den herrlichsten Farben übertroffen. Eine Kapelle hatte gespielt, und alle hatten mitgesungen: »Land of Hope and Glory« und »Rule Britannia«. Ein als Winston Churchill verkleideter Redner hatte flammend patriotische Worte gefunden, die mit jenem berühmten Satz des einstigen Premiers endeten, der für alle Bewohner der Kanalinseln bis zu diesem Tag wie Musik in den Ohren klang: »And our beloved channel islands will also be freed today!« Im tosenden Geschrei der jubelnden Menschen hätte niemand sein eigenes Wort mehr verstanden.
Franca war nur kurz in St. Peter Port gewesen, sie hatte einen Blick auf das Ereignis werfen, nicht wirklich daran teilnehmen wollen. Zu nahe lag noch Helenes Tod. Der Jubel der Massen tat ihr weh.
Es ist nicht die Zeit dafür, hatte sie gedacht, in diesem Frühjahr ist nicht die Zeit für ausgelassenes Feiern.
An diesem Tag nun wollte sie allein sein, ganz für sich, wollte nachdenken können. Zuerst hatte sie vorgehabt, zur Petit Bôt Bay zu laufen und sich dort auf einen warmen Felsen in die Sonne zu setzen, aber dann hatte sie an Helene gedacht und daran, daß ihr Mörder irgendwo dort draußen noch immer frei herumlief, und schon war das Grauen wieder da gewesen. Guernsey hatte für sie den Anschein von Paradies verloren. Irgendwo zwischen den lieblichen Dörfern, den herrlichen Blumengärten, den malerischen Buchten und den wilden Felsen trieb sich ein Wahnsinniger herum, der Frauen überfiel und ihnen die Kehle durchschnitt.
Sie hatte einen großen Strauß bunter Rosen gekauft und gedacht,
daß es schön wäre, ihn Helene zu bringen, ein wenig an ihrem Grab zu sitzen, Zwiesprache mit ihr zu halten und darüber nachzudenken, wie es nun weitergehen sollte. Michael hatte sich seit seiner Abreise nicht mehr bei ihr gemeldet, und sie hatte keine Lust, ihn in Deutschland anzurufen. Nach dem Abend im Old Bordello war er noch einige Male in Beatrices Haus aufgekreuzt, völlig geschockt von dem Drama um Helene und mehr denn je entschlossen, seine Frau »aus diesem ganzen Irrsinn« fortzuholen. Dagegen sprach zunächst die Polizei ein Machtwort; Franca sollte, wie auch Beatrice und Kevin, vorläufig nicht die Insel verlassen. Michael begann zu toben und zu drohen.
»Hör zu«, sagte er, »du hast mit diesem verfluchten Mist nichts zu tun. Die haben kein Recht, dich hier festzuhalten, bis sie irgendwann in hundert Jahren herausgefunden haben, wer die Alte umgebracht hat. Und wenn ich bis zum Botschafter gehen muß, ich werde dafür sorgen, daß du hier wegkannst! «
»Es geht nicht, Michael«, hatte Franca gesagt.
Sofort war er aufgefahren. »Was heißt, es geht nicht ? Das ist typisch Franca, weißt du das? Wieso soll das nicht gehen? Wieso willst du es hinnehmen, wenn diese Leute ...«
»Ich nehme gar nichts hin«, unterbrach Franca, »du hast mich mißverstanden. Ich möchte hierbleiben. Ich will nicht mit dir nach Deutschland zurück. Insofern stellt sich für mich nicht die Frage, ob ich hier zu Recht oder zu Unrecht festgehalten werde. Ich bin hier, weil ich es will.«
Er hatte sie ein paar Sekunden lang schweigend gemustert. »Dir ist nicht zu helfen«, sagte er schließlich, »du bist verrannt in die fixe Idee deiner Selbstbefreiung oder Selbstverwirklichung, oder was immer da durch deinen Kopf geistert. Ich denke, du machst einen riesigen Fehler. Falls du in der nächsten Zeit ebenfalls zu dieser Erkenntnis kommst, ruf mich bitte an.«
Sie verstand dies als eine Aufforderung, sich alles noch einmal zu überlegen und einzulenken, aber sie lebte in dem sicheren Gefühl, daß es kein Zurück für sie gab; und da sich somit an ihrer Position nichts geändert hatte, sah sie keinen Grund, hinter ihm herzutelefonieren. Es ging ihr besser, hatte sie festgestellt, wenn sie nicht mit ihm sprach, wenn sie nichts von ihm hörte. Was ihre
eigene Zukunft betraf, so hatte diese mit ihm ohnehin nichts zu tun. Sie mußte sich allein darüber klarwerden, wie ihre nächsten Schritte aussehen sollten.
Sie ging den kiesbestreuten Weg entlang, stieg dann die Stufen hinunter, die zu den Grabreihen führten. Von hier aus konnte man über die blühenden Bäume hin zum Meer sehen. Heute war es von der gleichen lichtblauen Farbe wie der Himmel.
Es sieht aus wie ein Gemälde, dachte Franca.
Es
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