Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
würde ich ihn irgendwo festbinden, um seinen Griff zur Flasche zu verhindern, aber wie soll ich das anstellen? Vielleicht sitzt er in St. Peter Port in einer Kneipe und läßt sich vollaufen.«
Sie und Franca waren einander in der Halle begegnet, Beatrice war aus dem Garten gekommen, wo sie sich halbherzig um die Blumenbeete gekümmert hatte, und Franca kam gerade die Treppe hinunter. Beatrice stellte fest, wie gesund die junge Frau aussah. Ihre Haut hatte inzwischen eine tiefbraune Farbe angenommen, und die Haare waren durch die Sonne noch heller geworden. Sie wirkte vital und erwartungsvoll. Obwohl mitgenommen durch Helenes grausamen Tod, schien sie doch von allen Personen, die von der Tragödie in irgendeiner Weise betroffen waren, am stärksten und gesündesten. Sie hatte ihre fünf Sinne beisammen und hielt das Alltagsgeschehen am Laufen, sie erledigte die Einkäufe, kochte die Mahlzeiten, füllte die Waschmaschine.
Eigentlich dürfte ich ihr wirklich kein Geld abnehmen für ihren Aufenthalt, dachte Beatrice, inzwischen sorgt sie dafür, daß hier überhaupt noch etwas funktioniert.
Sie selbst sah sich kaum in der Lage dazu. Helenes Tod hatte sie in einen Schockzustand versetzt, von dem sie sich nur sehr langsam erholte. Und dann die Geschichte, die Kevin ihr erzählt hatte... Sie fühlte sich wie jemand, der in Trance durch den Tag wandert, gefangen in einem Gefühl der Unwirklichkeit, durch einen feinen Schleier abgetrennt von allen Geschehnissen ringsum. Das einzige, worauf sie noch zu reagieren vermochte, war Alans Alkoholproblem. Die Sorgen um den Sohn drangen durch bis in jene Sphäre, in der sie sich eingeschlossen hatte, um über Helene nachzudenken, über die Frau, mit der sie ihr Leben geteilt und von der sie den Eindruck hatte, betrogen worden zu sein — um ebendieses Leben und um vieles mehr.
»Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken«, sagte Franca nun auf Beatrices ängstliche Bemerkung wegen Alan hin. »Ich glaube, daß Alan sein Leben in den Griff kriegen wird. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich habe einfach das sichere Gefühl.«
Beatrice musterte sie eindringlich. »Sie sehen gut aus, Franca. Die Frau, die mir letztes Jahr im September unerwartet ins Haus
geschneit ist, ist fast nicht wiederzuerkennen. Das Leben hier bekommt Ihnen.«
»Die Freiheit bekommt mir«, sagte Franca. Sie strich sich die Haare aus der Stirn, eine Geste, die noch etwas von der Unsicherheit früherer Tage verriet. »Ich fange an, wieder ein wenig an mich zu glauben.«
Beatrice hätte sie gern gefragt, ob sie noch Tabletten nahm, aber sie sagte sich, daß sie nicht das Recht hatte, sich danach zu erkundigen. Die Tranquilizer waren Francas Privatangelegenheit. Man wußte nicht, welche Wunde man aufriß, wenn man sie darauf ansprach.
So sagte sie statt dessen: »Dabei sollte man meinen, Sie müßten das Gefühl haben, hier mitten in einen Alptraum geraten zu sein. Niemand ist jemals vorbereitet auf einen solchen Vorfall, nicht wahr? Wir meinen immer, wir wüßten von diesen Dingen — von grausamen Verbrechen, von Scheußlichkeiten, die Menschen einander antun. Die Welt ist voll davon, und über die Zeitungen und das Fernsehen nehmen wir ständig unmittelbar daran teil. Wir halten uns für ziemlich abgebrüht. Aber es ist etwas anderes, wenn es uns selbst berührt.«
»Es ist eine Tragödie«, sagte Franca, »und dennoch...« Sie suchte nach Worten. »O Beatrice«, sagte sie schließlich, »ich sollte das nicht sagen. Nach allem, was geschehen ist ... aber für mich ist es, als stünde ich am Beginn eines neuen Lebens.«
»Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen«, meinte Beatrice. »Sie haben Ihr Leben, ich habe meines, Helene hatte ihres. Die Schicksale verlaufen nun einmal sehr unterschiedlich. Sie haben eine gute Zeit vor sich, Franca, das kann man Ihnen ansehen. Lassen Sie sich nichts davon verderben. «
»Ich wollte zum Friedhof«, sagte Franca, »und Helene ein paar Blumen bringen.«
Beatrice lächelte. »Tun Sie das. Ist eigentlich Ihr Mann wieder abgereist? «
»Vorgestern. Er hat endlich aufgegeben.«
»Und Sie sind sicher, daß Sie die Scheidung wollen?«
»Völlig sicher«, sagte Franca.
2
Franca stieß die kleine Pforte auf, die zu dem Friedhof südlich von St. Peter Port führte. Sie trug Jeans, die ihr bei der Hitze an den Beinen klebten, ein ärmelloses T-Shirt und auf dem Kopf einen Strohhut. Es war warm wie im Hochsommer, und das schon seit Tagen. Pünktlich zum »Liberation Day«
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