Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
tat ihr gut, hier zu sein. Die ganze Zeit über hatte sie der Gedanke verfolgt, sich von Helene nicht wirklich verabschiedet zu haben. Scharen von Menschen hatten sich auf dem kleinen Friedhof fast auf die Füße getreten.
War Helene so beliebt? hatte sich Franca gefragt, aber dann hatte sie auf vielen Gesichtern die Sensationsgier, das lüsterne Interesse wahrgenommen. Die meisten waren aus Schaulust gekommen, hatten den Gruseleffekt gesucht. Sie hatten Beatrice angestarrt und Kevin, von dem man inzwischen wußte, daß Helene den Abend bei ihm verbracht hatte. Franca hatte Ekel empfunden, den sie zu unterdrücken suchte, weil sie fand, er sei ungerecht. Die Menschen konnten gar nicht anders, als eine Art grausige Faszination zu empfinden bei dem Gedanken an eine Frau, die man mit durchschnittener Kehle auf einem Feldweg gefunden hatte.
Sie hatte höchstens zwei Sekunden am Grab verweilt, dann war sie abgedrängt worden. Nun würde sie die versäumte Gelegenheit nachholen.
Das Grab lag an der untersten Reihe, gleich dort, wo der Friedhof endete und der Wald begann, der sich dann bis zum Klippenpfad erstreckte. Hier war Erich Feldmann mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor bestattet worden. In demselben Grab hatte nun auch Helene ihre letzte Ruhe gefunden.
Im Näherkommen bemerkte Franca, daß sie nicht allein war. Jemand stand bereits vor dem frisch aufgeworfenen Grab und betrachtete den Stein mit der Inschrift. Es war Maja, wie sich zu Francas größtem Erstaunen herausstellte. Sie war der Mensch, den sie am wenigsten hier anzutreffen erwartet hätte.
»Hallo, Maja«, sagte sie zaghaft, »stört es Sie, wenn ich hier ein paar Rosen niederlege?«
Maja zuckte zusammen. »Nein, natürlich nicht. Guten Tag, Franca. Ich weiß gar nicht, wie lange ich hier schon stehe. « Sie runzelte die Stirn. »Es ist eine Hitze heute, daß ich schon richtig Kopfweh bekommen habe.«
»Ja, heute ist es mir auch fast zu warm«, stimmte Franca zu. Maja sah sie an. Ebenso wie Alan einige Stunden zuvor, registrierte Franca mit Erstaunen die verweinten Augen der jungen Frau sowie den Umstand, daß sie völlig ungeschminkt vor ihr stand.
»Arme Helene«, murmelte sie.
Franca hatte nie den Eindruck gehabt, Maja habe eine intensive Beziehung zu Helene gehabt. Ihre Traurigkeit verwunderte sie.
»Ja«, sagte sie leise, »arme Helene. Ein schreckliches Ende, so sinnlos und so grausam.«
Beide betrachteten das Grab. Die Erde glänzte schwarz. Bald würde Gras hier wachsen wie über den anderen Gräbern. Auf dem Stein stand Erichs Name, der von Helene war noch nicht angebracht worden.
OBERSTLEUTNANT ERICH FELDMANN
GEBOREN AM 24. 12. 1899
GESTORBEN AM 1. MAI 1945
Mir ist noch gar nicht bewußt geworden, daß beide am I. Mai gestorben sind, dachte Franca, wie eigenartig. Fünfundfünfzig Jahre dazwischen, aber beide am I. Mai!
Sie legte die Rosen auf den Erdhügel. Die Hitze hatte ihnen schon zugesetzt, sie sahen ein wenig müde aus. Sie würden sehr rasch verwelken.
»Morgen wird es regnen«, sagte Maja, »ich kann es riechen.«
»Den Pflanzen auf der Insel würde das sehr guttun. Wenn es wirklich einen Wetterumschwung gibt, rührt Ihr Kopfweh vielleicht daher.«
»Vielleicht«, meinte Maja gleichgültig. Sie starrte das frisch aufgeworfene Grab an mit einer Verzweiflung in den Augen, die Franca erschütterte. Sie widerstand dem Impuls, den Arm um Majas Schultern zu legen. Sie war nicht sicher, ob das Mädchen dies geschätzt hätte.
»Sie haben so sehr an ihr gehangen?« fragte sie mit einem Seitenblick auf das Grab.
Maja schüttelte den Kopf. »Ich habe sie doch kaum gekannt.«
»Aber die Tat hat Sie sehr erschreckt?«
»Mich erschreckt es, daß jemand plötzlich tot ist. Gerade hat sie noch gelebt, und nun ist sie tot. Und alles so sinnlos, und... «
»Ein Verbrechen erscheint als besonders sinnlos, aber...«
»Ich meine nicht das Verbrechen«, sagte Maja heftig. Aus ihren Augen traten schon wieder Tränen. »Ich meine das Leben. Was hatte sie schon davon? Was hatte Helene von ihrem Leben?«
Von der Heftigkeit, mit der Maja diese Worte hervorstieß, überrascht, trat Franca einen Schritt zurück. »Maja...«
»Sie hat ganz jung ihren Mann verloren. Sie hat dann nie wieder jemanden gefunden, der sie liebt. Sie hat in einem Land gelebt, das nicht ihres war. Mit Menschen, zu denen sie in einer Sprache sprach, die nicht ihre war. Und jeder wußte, daß Beatrice sie nur aus Mitleid nicht hinauswarf. Sie hat sie
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