Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
stundenlang kein einziges Wort, saß
nur in einer Ecke und starrte vor sich hin. Dann wieder wurde er aggressiv, durchkämmte das ganze Haus, jeden Schrank, jede Schublade nach möglicherweise vergessenen Medikamentenresten. Im Februar hatte er einmal in einem alten Koffer, der seit Jahren auf dem Dachboden lag, eine Schachtel gefunden, die einen Streifen mit zwei letzten Tabletten enthielt. Seither war er von der fixen Idee besessen, daß es weitere Reserven im Haus geben mußte und daß er sie finden würde, wenn er nur verbissen genug suchte. Er durchstöberte Orte, die er sich schon an die hundertmal zuvor vorgenommen hatte, aber wenn Helene ihn fragte, weshalb er glaube, inzwischen seien wohl von Geisterhand neue Vorräte dort deponiert worden, reagierte er aggressiv und uneinsichtig.
»Du hast schon damals behauptet, es sei nichts mehr im Haus!« schrie er. »Und dann habe ich doch noch etwas gefunden! Also sei ganz still! Du hast keine Ahnung! Du hast nie gewollt, daß ich das Zeug schlucke, und jetzt glaubst du, du könntest über mich triumphieren. Aber ich lasse mich nicht kleinkriegen, verstehst du? Ich werde Tabletten bekommen, und du wirst es nicht verhindern können!«
Wenn es ihm schlechtging, konnte er zum Berserker werden. Er warf den Inhalt ganzer Schubladen auf den Boden und kümmerte sich nicht darum, ob irgend etwas davon wieder aufgeräumt wurde. Er riß Helenes Kleider aus dem Schrank und schleuderte sie unbeherrscht mitten ins Zimmer. Er durchwühlte die Küche, wobei manches Glas, manches Stück Porzellan zu Bruch ging. Oft saß er hinterher erschöpft und enttäuscht in einem Trümmerfeld, starrte vor sich hin und murmelte: »Ich weiß, daß etwas da ist. Ich weiß es.«
Natürlich wiederholte sich der Glücksfall vom Februar nicht, er fand nie wieder einen vergessenen Vorrat. Manchmal - oft unmittelbar nach einem besonders heftigen Ausbruch von Aggression - rettete er sich in ein auffallend leutseliges Verhalten, verkündete, daß alles gut werden würde, wobei er nicht näher definierte, was er mit »alles« meinte, und schmiedete Pläne für die Zeit nach dem Krieg. Er ließ dabei offen, wie der Ausgang des Krieges aussehen würde, aber er vermittelte den Eindruck, daß er die Entwicklung der Dinge positiv sah.
»Ich denke, Helene, wir werden auf Guernsey bleiben«, sagte er, »es gefällt mir hier sehr gut. Die Insel hat ein angenehmes Klima. Was meinst du? Werden wir es hier aushalten?«
Wenn er derartige Reden führte, sah Helene stets blaß und angestrengt aus und wirkte völlig überfordert. Sie wußte offensichtlich nicht, ob sie ihm erklären sollte, wie absurd es war, was er da sagte, oder ob sie so tun sollte, als stimme sie ihm zu. Meist flüchtete sie sich in ein schwaches »Ach, Erich...«, was er fast immer als Zustimmung auffaßte. Nur einmal trat plötzlich ein böses Glimmen in seine Augen, er starrte Helene an und fragte lauernd: »Was meinst du damit? Was meinst du mit Ach, Erich?«
Natürlich geriet Helene sofort ins Stottern. »Ich weiß nicht... ich wollte nur...«
»Ja? Was wolltest du?«
»Erich...«
Er sah sie drohend an. »Ich möchte deine Meinung wissen, Helene. Und ich möchte, daß du sie mir ganz ehrlich sagst, verstehst du? «
»Ich weiß nicht genau, was du meinst, Erich. Ich wollte wirklich nur...«
»Ja? Sag doch endlich, was du wirklich nur wolltest!«
»Ich denke, es wird schwierig werden für uns nach dem Krieg«, sagte Helene, all ihren Mut zusammennehmend, »wir wissen doch gar nicht, ob die Menschen auf Guernsey uns dann noch hier haben wollen.«
»Warum sollten sie uns nicht haben wollen?«
»Nun, wir... wir haben die Inseln besetzt, und es könnte doch sein, daß später... ich meine, wenn der Krieg vorbei ist, könnte es sein, daß wir hier nicht bleiben dürfen.«
Er musterte sie mit unheilvollem Blick. »Heißt das, du glaubst, daß Deutschland den Krieg verlieren wird?«
Helene sah aus wie ein in die Enge getriebenes Tier. »Wir wissen doch alle nicht genau, was sein wird«, flüsterte sie.
»Wir wissen es nicht? Vielleicht weißt du es nicht, Helene, ich weiß, was sein wird! Ich weiß es!« Und dann hatte er sich mitten im Zimmer postiert und eine lange, verworrene Rede auf den Endsieg gehalten und eine Reihe von konfusen Gründen aufgezählt,
die nach seiner Ansicht belegten, daß der Sieg kommen mußte und völlig unausbleiblich war. Niemand hatte es gewagt, ihm zu widersprechen. Beatrice, die das Zimmer noch rasch hatte
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