Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
verlassen wollen, war von ihm sofort zurückgerufen und zum Bleiben verdonnert worden. Sie dachte später immer, daß sie und Helene wie zwei brave Schulmädchen gewirkt haben mußten, die aufrecht und stumm auf ihren Stühlen saßen und einen Schwall von Belehrungen über sich ergehen ließen, hoffend, daß man nachher nicht von ihnen verlangen würde, wiederzugeben, was gesagt worden war. Irgendwann war Erich am Ende gewesen, hatte innegehalten und war blaß vor Erschöpfung auf das Sofa gesunken. »Ihr werdet es ja doch nie verstehen«, hatte er gemurmelt, »im Kern werdet ihr das alles nicht begreifen.«
»Wenn ich nur diese Tabletten irgendwo auftreiben könnte«, sagte Helene immer wieder zu Beatrice. »Früher habe ich es gehaßt, wenn er die Dinger schluckte. Jetzt möchte ich sie ihm am liebsten selber eintrichtern. Wenn man ihn nur ein wenig ausgleichen könnte!«
Beatrice war sechzehn Jahre alt und reif für ihr Alter, und sie begriff, daß Erich eine tickende Zeitbombe darstellte. Solange er seine Medikamente nicht bekam, würde er völlig unberechenbar bleiben. Sie hatte das Gefühl, daß die Dinge auf einen Eklat zusteuerten und daß am Ende etwas Schreckliches geschehen würde.
Erich brauchte immer wieder Opfer, um seine Frustration, seine Unruhe und seine wachsende Panik abzureagieren. Oft brüllte er Will an, der hin und wieder Botengänge für ihn erledigen mußte und nie herbeischaffen konnte, was Erich verlangte. Häufig diente Helene als Ventil; er warf ihr vor, nie den Mund aufzubekommen, ein Gesicht zu machen wie ein verschrecktes Huhn oder dreinzuschauen wie die berühmte Kuh, wenn es donnert. Helene schlich nur noch als Schatten durch das Haus und bemühte sich, möglichst nicht aufzufallen. Sie entwickelte eine erstaunlich ausgereifte Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, sich lautlos zu bewegen und auf geheimnisvolle Weise mit ihrem jeweiligen Hintergrund zu verschmelzen. Erich suchte sie manchmal und konnte sie tatsächlich über Stunden nicht finden, obwohl sie daheim war. Sie schien mit hochkomplizierten Seismographen ausgestattet, die es ihr ermöglichten,
vorab zu ahnen, wenn Erich ein Zimmer betreten würde. Fast immer konnte sie den betreffenden Raum noch rechtzeitig verlassen. Erichs vibrierende Nervosität verstärkte sich natürlich, wenn ihm sein Opfer stundenlang entwischte, und er sah sich nach einem anderen Sündenbock um. Am wenigsten konnte ihm Pierre ausweichen, der französische Zwangsarbeiter. Er war noch immer mit der Pflege des Grundstücks betraut, obwohl es angesichts der katastrophalen Versorgungslage absurd schien, sich noch um Rosen zu kümmern oder um ordentlich eingefaßte Gartenwege und sauber geschnittenes Gras. Pierre hatte im Grunde vom Gartenbau nicht die geringste Ahnung, so daß er auch nicht wußte, wie er die Beete und Gewächshäuser wenigstens für den Anbau von Gemüse hätte nutzen können, was ihnen allen hin und wieder einen Salat oder ein paar Tomaten hätte einbringen können. Wenn er schlecht gelaunt war, regte sich Erich darüber entsetzlich auf.
»Wir haben ein großes Grundstück!« brüllte er. »Wir haben schöne, braune Erde und Beete ohne Ende! Wir haben zwei Gewächshäuser! Ich möchte wissen, weshalb du nicht in der Lage bist, irgend etwas Gescheites damit anzufangen! Warum haben wir keinen Salat? Keinen Blumenkohl? Warum haben wir absolut nichts Eßbares?«
Pierre, abgemagert wie alle, ein hohlwangiges, blasses Gerippe, drehte seine Mütze zwischen den Händen. Er hatte hart zu arbeiten und stand ständig am Rande eines Zusammenbruchs.
»Das liegt daran, daß ich kein gelernter Gärtner bin, Herr Oberstleutnant«, sagte er, »ich bin nicht ausgebildet dafür. Ich hatte daheim in Frankreich begonnen, Literatur und Geschichte zu studieren. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man Gemüse anbaut. Ich bin mitten in Paris aufgewachsen. Meine Familie hatte nie einen Garten. Nicht einmal einen Balkon.«
Erich musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Wie lange bist du nun schon hier bei uns? Hast du davon eine Vorstellung, oder bist du mit der Beantwortung dieser Frage überfordert wie mit allem anderen?«
»Nein, Herr Oberstleutnant. Ich bin seit bald fünf Jahren hier.«
»Fünf Jahre - soso.« Erichs Augen waren von einer unmenschlichen
Kälte. »Würdest du mir zustimmen, daß fünf Jahre eine ziemlich lange Zeit sind?«
Für Pierre mochten die vergangenen fünf Jahre einer Ewigkeit gleichen. »Es ist eine lange
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