Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
ihr auszubreiten begann. Sie nahm die Tranquilizer nun regelmäßig morgens und abends und wertete dies immerhin als Fortschritt: Das unkontrollierte Konsumieren hatte aufgehört, sie trug die Medikamentenschachtel nicht mehr überall bei sich, um im Falle einer plötzlichen Panik rasch zugreifen zu können. Überhaupt hatten die Attacken aufgehört und sich in jene aufkeimende Unruhe verwandelt, die sie auch jetzt wieder zu spüren begann. Sie vermutete, daß die feine Nervosität irgendwann in einer handfesten Panikattacke gipfeln würde, ließe sie diese Entwicklung zu, aber die zweimalige Einnahme des Präparats verhinderte dies zuverlässig.
Irgendwann, dachte sie, werde ich ohne die Tabletten leben. Es kann dauern, aber irgendwann ist es geschafft.
Als sie die Treppe wieder hinunterging, mußte sie lächeln bei dem Gedanken, daß sie nun gemeinsam mit Beatrice losziehen würde, Alan vor den fatalen Folgen seiner Trunkenheit zu bewahren, und dazu selber, um diesen Akt überhaupt vollbringen zu können, ihre obligatorischen Beruhigungsmittel schlucken mußte. Eigentlich bin ich kein bißchen anders als Alan, dachte sie, ich habe nur das Glück, daß der Mißbrauch von Tabletten weniger auffällt als der Genuß von zuviel Alkohol.
Als sie im Auto saßen, sagte Beatrice: »Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht ausgebeutet, Franca. Sie sind hier in ein ziemliches Drama hineingeraten, und ich habe den Eindruck, wir alle laden recht viele Lasten auf Ihren schmalen Schultern ab.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Das Drama meines Lebens lag woanders und hat mit Guernsey und mit Ihnen nichts zu tun. Ich komme zurecht.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Ich komme besser zurecht als je zuvor. Aber das sagte ich ja heute mittag schon.«
»Ich bin froh, daß Sie hier sind«, sagte Beatrice leise, »zum erstenmal in meinem Leben fühle ich mich völlig überfordert. Zum erstenmal habe ich den Eindruck, mit den Dingen, die um mich herum geschehen, nicht fertig zu werden. Ich könnte den ganzen Tag nur in der Mitte eines Zimmers stehen, die Arme hängen lassen und vor mich hinstarren. Und selbst das würde mich auslaugen. «
Franca warf ihr einen raschen Blick von der Seite zu. »Sie sehen schlecht aus, Beatrice. Haben Sie heute überhaupt schon etwas gegessen ? «
»Nein. Irgendwie bringe ich zur Zeit keinen Bissen hinunter.«
Sie waren in St. Peter Port angelangt. Franca entdeckte einen freien Parkplatz direkt vor der Kirche, steuerte ihn entschlossen an und bremste.
»Ganz gleich, ob Alan jetzt in The Terrace ist oder nicht«, sagte sie, »wir setzen uns dorthin und essen etwas, und ich werde Sie nicht gehen lassen, ehe Sie nicht Ihren Teller geleert haben.«
»Franca, ich kann wirklich nicht...«
»Keine Widerrede. Sie müßten sich einmal sehen. Sie haben bestimmt fünf Kilo abgenommen, und das in so kurzer Zeit. Kein Wunder, daß Sie keine Energie haben und sich überfordert fühlen. Sie müssen zusehen, daß Sie bei Kräften bleiben.«
In The Terrace herrschte Hochbetrieb. Das Restaurant hatte an diesem Abend geöffnet, und die warme Luft verlockte die Menschen zum Sitzen im Freien. Beatrice und Franca durchstreiften das ganze Restaurant, konnten Alan aber nirgendwo entdecken.
»Er ist weitergezogen«, sagte Beatrice resigniert, »wahrscheinlich ist er schon in der achten Kneipe gelandet und hat bereits eine mittlere Alkoholvergiftung. O Gott, Franca, wir müssen... «
Franca drückte sie mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl. »Es ist niemandem gedient, wenn Sie zusammenklappen. Sie bleiben hier sitzen, und ich hole uns etwas zu essen. Auf die eine Stunde kommt es nun nicht mehr an. Wenn wir fertig sind, suchen wir ihn, aber vorher müssen wir uns stärken. Sie wissen, daß es dauern kann, bis wir alle Kneipen von St. Peter Port abgeklappert haben.«
Sie ließ Beatrice zurück und stellte sich im Innern des Gebäudes in der langen Schlange an. Unwillkürlich mußte sie daran denken, wie sie zum erstenmal hiergewesen war, im September des vergangenen Jahres. Panik hatte sie überfallen, sie war davongestürmt, und Geschirr war dabei auch noch zu Bruch gegangen. Diesmal würde sie ohne peinlichen Zwischenfall über die Runden kommen. Sie war eine andere Frau - oder nicht? In einer verspiegelten Wand konnte sie sich sehen, und sie mußte zugeben, daß sie sich zumindest optisch gewandelt hatte. Sie war bei weitem nicht mehr so blaß und unscheinbar wie noch im letzten Jahr. Sie hielt den Kopf anders, hatte
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