Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
unberechenbarem Sadismus auslebte.
Das heißt, eigentlich war es umgekehrt. Er lebte in meinem Haus. Er hatte es okkupiert. Er machte sich darin breit wie ein großes, wucherndes Gewächs, das allen anderen Pflanzen ringsum langsam den Lebensraum und die Luft zum Atmen nimmt. Es ging
nur um seine Bedürfnisse. Immer und ausschließlich. In einer anderen Zeit wäre er vielleicht ein mittelmäßiger Beamter gewesen, der allein seine Familie und ein paar untergeordnete Kollegen tyrannisiert. Das nationalsozialistische Regime gab ihm leider eine sehr viel weiter reichende Machtfülle und eine Reihe gefährlicher Instrumente in die Hand. Es gab Menschen, für die war er Herr über Leben oder Tod. Zum Guten wie zum Schlechten nutzte er diese Position aus. Befriedigung gewann er aus beidem: daraus, den Daumen nach oben zu halten; daraus, ihn zu senken.
Ich bekam davon allerdings gar nicht viel mit. Ich erlebte ihn zu Hause, und da ich ein Kind war und das Zuhause meine Welt, schaute ich nicht sehr weit über die Begrenzungen hinaus. Dennoch gewann ich wohl im Laufe der Jahre ein recht stimmiges Bild von ihm.
Ich hätte in dieser Zeit nie genau sagen können, welche Gefühle er in mir weckte. Haß, Zuneigung, Dankbarkeit, Angst... Seine Stimmungen wechselten schneller als die Wolkenbilder über dem Meer bei stürmischem Wind. Heute glaube ich, daß Haß das vorherrschende Gefühl bei mir war. Haß auf einen Mann, der sich mir zeitweise in väterlicher Zuneigung aufdrängte, mich jedoch unweigerlich enttäuschte, wenn ich seine Sympathiebekundungen ernst nahm und mich innerlich zaghaft darauf einzustellen begann. Ja, es war schließlich wohl nur noch Haß...
Guernsey, Juni 1940
Dabei war er ihr im ersten Moment wie ein rettender Engel erschienen. Sie hatte solche Angst gehabt, war so allein gewesen und so hungrig. Zwei Tage lang waren Flugzeuge über der Insel gekreist, und ihre dröhnenden Motoren hatten Beatrice in Panik versetzt. Sie kauerte die ganze Zeit zwischen dem geblümten Sofa und dem Schaukelstuhl im Wohnzimmer, unfähig, sich zu bewegen. Selbst als Hunger und Durst fast unerträglich wurden, brachte sie nicht die Kraft auf, in die Küche zu gehen und sich etwas zu essen oder zu trinken zu holen. Ihre Beine waren wie gelähmt. Sie war
den ganzen Weg von St. Peter Port bis nach Hause gelaufen, Stunde um Stunde, war lange Strecken gerannt, dann wieder langsam gegangen, keuchend, nach Luft ringend. Den Berg schließlich hatte sie auf allen vieren zurückgelegt. Sie hatte sich im Wohnzimmer verkrochen und dann haltlos zu zittern begonnen.
Die ersten Tage – wie viele waren es? Ein paar, eine Woche? – war sie noch ab und zu in die Küche gekrochen, hatte sich einen Apfel oder einen Kanten Brot geholt und ein paar Schlucke Wasser getrunken, war dann sofort wieder in ihre Höhle im Wohnzimmer zurückgekehrt und hatte sich zusammengekauert wie ein kleines, verängstigtes Tier. Seitdem die Flugzeuge geflogen waren, hatte sie ihre Ecke überhaupt nicht mehr verlassen. Sie wußte, daß etwas Furchtbares passieren würde und daß niemand da war, ihr zu helfen. Sie wartete und dachte, daß sie wohl sterben würde.
Als der fremde Mann plötzlich vor ihr auftauchte, vermochte sie dies nicht einmal mehr in Schrecken zu versetzen. Fast teilnahmslos starrte sie ihn an. Er trug eine graue Uniform und hohe, schwarze Lederstiefel. Seine Mütze hatte er abgenommen und hielt sie in der Hand. Er war sehr groß und sah eigentlich nicht gefährlich aus.
»Wen haben wir denn da?« fragte er. Er sprach englisch, aber seine Aussprache klang komisch. Bestimmt war er kein Engländer. »Wie heißt du denn, Kleine?«
Sie war nicht sicher, ob sie einen Laut hervorbringen würde. Sie war nicht einmal sicher, ob ihre Muskeln ihr so weit gehorchten, daß es ihr gelang, Zunge und Lippen zu bewegen. Aber dann vermochte sie tatsächlich zu sprechen.
»Beatrice.« Es klang, als piepse ein kleiner Vogel. »Beatrice Stewart. «
»Aha. Beatrice. Möchtest du nicht aus deiner Ecke da herauskommen? Es ist so schwierig für mich, mit dir zu reden, wenn du halb unter einem Sessel liegst und ich kaum dein Gesicht sehen kann.«
Sie nickte und versuchte aufzustehen, aber sofort begannen ihre Beine wieder zu zittern, und sie fiel in sich zusammen. Kurzentschlossen beugte sich der Fremde zu ihr herunter. Sie fühlte sich von kräftigen Armen gepackt und in die Höhe gehoben, roch einen
herben Duft, der ihr gefiel; es war wohl ein
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