Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Evakuierungsplänen hatte. Die Koffer wurden in Windeseile gepackt, und Panik sprang über die Inseln wie ein ansteckendes Virus. Beatrice mußte sich entscheiden, welches Spielzeug sie mitnehmen wollte, und sie suchte sich den Clown aus, der über ihrem Bett hing und dem ein Bein und ein Auge fehlte. Andrew düngte und wässerte die Rosen und sah dabei aus, als würde ihm jeden Moment das Herz brechen. Deborah verschloß sorgfältig das Haus, verriegelte alle Fensterläden; sie hatte ein erstarrtes Gesicht und heiße, trockene Augen.
»Mae und ihre Eltern kommen doch auch mit«, vergewisserte sich Beatrice noch einmal.
»Jaja«, sagte Deborah, aber Beatrice war nicht ganz sicher, ob das die Wahrheit war. Es schien ihr undenkbar, nach England zu gehen, wenn ihre beste Freundin auf Guernsey bliebe. Nur mit Mae ließe sich der erzwungene Aufenthalt im fernen London vielleicht ertragen.
In St. Peter Port hatten sich, so schien es, sämtliche Bewohner der Insel versammelt. Autos und Busse parkten weit oberhalb vom Hafen, denn in den Straßen und Gassen wimmelte es von Menschen, und es war kein Durchkommen möglich.
Am dichtesten war das Gedränge vor den Schaltern der provisorisch errichteten Auskunftsbüros. Jeder wollte im letzten Moment klären, ob eine Abreise wirklich notwendig war.
»Wir dürfen einander nicht verlieren«, mahnte Andrew, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren, der sie von Le Variouf in die Hauptstadt gebracht hatte, »ihr beide bleibt direkt hinter mir. Beatrice, du hältst Mummies Hand ganz fest!«
Beatrice umklammerte Deborahs Hand mit aller Kraft. Ihr war ganz schwindlig von dem Gewimmel um sie herum. Nie hätte sie gedacht, daß so viele Leute auf Guernsey wohnten! Sie wurde gestoßen und geschoben, bekam Ellbogen, Taschen oder Koffer in die Rippen, und über ihren Kopf hinweg schrien, riefen, fluchten die Menschen. Deborah lief viel zu schnell, Beatrice hatte Mühe, mitzukommen. Sie hielt Ausschau nach Mae, konnte sie aber nirgends entdecken. Es wäre ein außerordentlicher Zufall gewesen, in diesem Gewühl einen bestimmten Menschen zu treffen. Irgendwie trieben sie vorwärts auf die Schiffe zu, die im Hafen vor Anker lagen, bewacht von dem wuchtigen, dunklen Castle Cornet, das wie eine Schutzburg der Insel vorgelagert stand und doch keinen Schutz bedeutete. Viele der Schiffe sahen ziemlich ramponiert aus, teilweise waren die Segel zerrissen und nur notdürftig geflickt, und manche Reling zeigte rußgeschwärzte Einschußlöcher. Beatrice hörte, wie ein Mann einen anderen darüber befragte und zur Antwort bekam, bei den Schiffen handle es sich teilweise um solche, die gerade in Dünkirchen für die Evakuierung der von deutschen Truppen eingeschlossenen britischen Soldaten eingesetzt worden seien. »Sie haben unter heftigstem deutschen Beschuß operiert«, sagte er. Beatrice fand, das alles hörte sich zunehmend bedrohlich an. Nicht im geringsten nach einer Ferienreise. Sondern nach einem wirklich gefährlichen Abenteuer.
Sie wußte nie genau zu sagen, wie es geschehen war, daß sie die Hand ihrer Mutter verloren hatte. Sie passierten bereits die Gangway zu einem der Schiffe. Das Gedränge war nun noch dichter, völlig unüberschaubar. Die Menschen wurden rücksichtsloser; es ging darum, gute Plätze zu ergattern und auf jeden Fall mitzukommen. Ein großer, dicker Mann stieß Beatrice zur Seite, sie stolperte und wurde von Deborahs Hand gerissen. Sie schrie sofort los. »Mummie! Mummie!«
Sie hörte auch Deborah schreien, verzweifelt und schrill wie eine Katzenmutter, die ihr Junges sucht. Irgendeine Hand packte die ihre, und ein Mann rief: »Ich hab sie! Alles in Ordnung! Ich hab sie!«
Es war ein fremder Mann. Später gelangte Beatrice zu dem Schluß, daß Deborah, zu der sie sofort den Sichtkontakt verloren
hatte, möglicherweise geglaubt hatte, es sei Andrew gewesen, der Beatrice festgehalten habe. In dem tosenden Lärm ringsum mochte man eine Stimme leicht verwechseln. Jedenfalls hatte sie nicht länger gerufen, oder Beatrice hatte sie nicht gehört. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und sie hatte die Hand des Fremden ebenfalls verloren. Sie begann zu brüllen, aber niemand antwortete, niemand beachtete sie. Von den vorwärtsdrängenden Menschen in der Menge wurde sie immer weiter zurückgestoßen, bis sie wieder am Fuß der Gangway angelangt war. Wenn sie nur versucht hätte, erneut auf das Schiff zu kommen...
Es mußte eine Art von Panikreaktion gewesen sein, die sie sich
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