Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
verlor kiloweise Gewicht, weil sie kaum noch essen konnte, und was sie aß, erbrach sie meist wieder. Es dauerte erstaunlich lange, bis Michael merkte, wie ernst Francas Lage war. Das heißt, dachte sie nun unter ihrer Decke, erstaunlich war das gar nicht. Es war ganz typisch. Neben Michael kann man verrecken, ohne daß er etwas merkt.

    Irgendwann einmal — soweit sie sich entsann, war es bei einem Frühstück gewesen — hatte er sie plötzlich durchdringend gemustert und dann in beinahe vorwurfsvollem Ton konstatiert, sie sei recht dünn geworden.
    »Um nicht zu sagen: mager. Was ist los? Machst du eine Diät?« Er hatte natürlich die Geschichte mit den zerstochenen Reifen mitbekommen und dann und wann auch die Tintenflecken auf ihren Kleidungsstücken bemerkt, aber er kannte nicht das ganze Ausmaß der Schikanen, denen Franca täglich ausgesetzt war.
    »Mir geht es nicht gut«, hatte sie gemurmelt. Es hatte ein Schultag vor ihr gelegen, und im Spiegel hatte sie gesehen, daß sie geradezu grün war um die Nase.
    »Wenn es dir nicht gutgeht, mußt du einen Arzt aufsuchen«, sagte Michael, und dann hatte er sie schärfer angesehen und hinzugefügt: »Du siehst wirklich schlecht aus. Plagst du dich mit irgendeiner verschleppten Geschichte herum?«
    »Vielleicht eine Erkältung.«
    »Geh zum Arzt«, hatte er wiederholt und war dann aufgesprungen, um seinen Kaffee im Stehen zu Ende zu trinken, denn er war wieder einmal spät dran gewesen.
    Sie bewegte sich vorsichtig im schützenden Kokon der Wolldecke. Die augenblickliche Situation erschien ihr sinnbildlich für ihr ganzes Dasein: zusammengekauert, zittrig, eine Hülle über dem Kopf, die sie schützte vor der Welt. Woher, fragte sie sich, nehmen die Menschen die Kraft, die man braucht zum Leben? Wo liegt die geheime Quelle, aus der sie schöpfen? Woher hat die kleine Beatrice die Kraft genommen, mit der sie den grausamen Zusammenbruch ihrer einst festgefügten Welt ertragen hat?
    Beatrice, das hatte sie deren Briefen entnommen, besaß eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen, ohne dabei ihre Persönlichkeit zu verleugnen. Sie biederte sich nicht an, redete niemandem nach dem Mund, aber sie lehnte sich nicht gegen Unausweichliches auf und machte das Beste aus den Dingen, wie sie waren. Sie lernte Deutsch, um den Feind zu verstehen, und sie baute ihre Freundschaft zu Will aus, um einen Verbündeten zu haben, der ihr irgendwann einmal behilflich sein konnte. Sie versuchte, Erich aus dem Weg zu gehen, da sie ihn instinktiv
als Gefahr erkannt hatte, aber sie achtete darauf, einigermaßen gut mit ihm auszukommen. Angst und Sorge um ihre Eltern machte sie mit sich selbst ab. In ihren Briefen war nicht die Rede davon, daß sie gejammert und geklagt hätte — wobei Franca den Eindruck hatte, daß sie noch wochenlang in einer Art Schockzustand gefangen gewesen war. Am meisten schien sie tatsächlich gelitten zu haben unter der Selbstverständlichkeit, mit der Erich das Haus ihrer Eltern für sich beschlagnahmt hatte. Sie hatte sich einem unablässigen Übergriff ausgesetzt gesehen, und alles in ihr hatte sich dagegen empört.
    Franca versuchte, sich ihre Empfindungen vorzustellen, wenn Fremde ihr Haus besetzt hätten und darin agieren würden, als wäre es ihr eigenes. Die Verletzung, das war ihr klar, ging über das bloße Vergreifen an fremdem Eigentum hinaus. Die fremden Stiefel, die über die Teppiche trampelten, die fremden Hände, die sich an Türen und Fenstern zu schaffen machten, die fremden Münder, die aus den Gläsern tranken, verletzten etwas in der Seele, das vielleicht nie wieder wirklich heilte. Ein Urvertrauen mochte dahinschwinden, der Glaube an die Unversehrtheit des eigenen Territoriums.
    Sie hörte leise Schritte auf der Treppe und hielt den Atem an. Licht flammte auf und blendete sie. Michael stand in der Tür. Er präsentierte seine makellose Figur in einem engen Slip und mit nacktem Oberkörper. Und er blickte äußerst verwundert drein.
    »Franca«, sagte er, »was tust du denn hier?«
    Sie war sich des eigenartigen Anblicks, den sie bieten mußte, nur zu bewußt. Hockte wie ein Indianer unter ihrer Decke und starrte grübelnd vor sich hin. Sie wußte nicht sofort etwas zu erwidern und verzog nur das Gesicht zu einem entschuldigenden Lächeln.
    »Es ist halb drei«, sagte Michael, »wieso bist du nicht im Bett?«
    »Ich war im Bett«, erwiderte Franca.
    »Ich weiß. Und warum bist du aufgestanden? Warum sitzt du einfach da

Weitere Kostenlose Bücher