Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Revolution im 17. Jahrhundert; sie probierte in dieser Zeit ständig verzweifelt neue Strategien aus, mit ihrer katastrophalen Situation fertig zu werden, und an jenem Tag hatte sie sich für die Taktik entschieden, das Geschrei zu ignorieren und ihren Unterricht zu halten, als sei alles in bester Ordnung. Geschrei und Drohungen ihrerseits hatten sich als völlig
wirkungslose Versuche erwiesen, Ordnung zu erzeugen, und sie fühlte sich ohnehin zu erschöpft, um weiterzukämpfen.
Sie hatte den Direktor zunächst nicht bemerkt, aber urplötzlich hörten die Schüler auf, durcheinanderzubrüllen, weder Kreide noch Papierkugeln flogen noch durch die Luft, und die Mädchen vor dem Spiegel ließen die Bürsten mit der Wimperntusche sinken und schlichen etwas betreten an ihre Plätze. Franca dachte keine Sekunde lang, etwas in ihrem Verhalten könnte diesen Umschwung herbeigeführt haben; sie war schon lange nicht mehr fähig, an irgendeine Kraft in sich zu glauben oder an ein Wunder, das eintreten könnte. Dann spürte sie auch schon einen Luftzug und wandte sich um. Sie wußte, daß sie blaß wurde, als sie den Direktor sah.
Der Direktor wartete, bis völlige Stille eingetreten war — was in wenigen Sekunden geschah —, dann donnerte er los: »Was geht hier vor?«
Niemand erwiderte etwas. Die meisten Schüler blickten zu Boden, zu feige, um auch nur zu grinsen. Der Direktor genoß hohen Respekt an seiner Schule.
»Wer ist der Klassensprecher?« fragte er.
Der Klassensprecher meldete sich und schien sich äußerst unbehaglich zu fühlen. Der Direktor fragte erneut nach den Hintergründen des Radaus, aber natürlich wußte der Sprecher darauf auch keine Antwort zu geben.
»Es... es ist kurz vor dem Wochenende«, brachte er schließlich hervor, und nun grinsten doch einige.
Der Direktor wandte sich an Franca, die mit hängenden Armen vor ihrem Pult stand und den Eindruck hatte, nach Schweiß zu riechen. »Kommen Sie in der Pause bitte zu mir, Frau Kollegin«, sagte er, ehe er sich zur Tür wandte und grußlos den Raum verließ.
Der Direktor war später nicht unfreundlich gewesen; er hatte sich eher besorgt, mitfühlend gegeben, und Franca hatte sich gedemütigt gefühlt wie nie zuvor in ihrem Leben. Offenbar hatte sich schon eine Reihe von Kollegen beschwert, und sie galt längst als schwerwiegendes Problem in der Schule. In taktvollen Worten, aber unmißverständlich, riet ihr der Direktor, einen Psychologen aufzusuchen, da es doch Gründe geben müsse für diese andauernden Schwierigkeiten.
Noch heute, unter ihrer Decke im Wohnzimmer kauernd, erinnerte sich Franca, daß sie sich wie geohrfeigt gefühlt und in innerer, wie üblich gut verborgener Empörung gedacht hatte: Warum ich ? Warum kommt niemand auf die Idee, diese halbirren Monster auf die Couch zu schicken?
Sie entsann sich, wie grausam sie die nicht vorhandene Solidarität ihrer Kollegen empfunden hatte. Wie oft hatte sie um Beistand gefleht, in Worten und Blicken. Sie hatte von besonders schwierigen Schülern gesprochen, und ihre Augen hatten um einen Kommentar gebettelt, in der Art: »Oh, ich weiß, was Sie meinen. Ich habe selber ziemliche Probleme mit...« Aber einen solchen Satz hatte sie nie gehört. Im Gegenteil, es schien ihnen allen eine gewisse sadistische Freude zu bereiten, ihr das Gegenteil von dem zu sagen, was sie hören wollte. Sie beteuerten gern, gerade mit diesem Schüler, mit dieser Klasse nie irgendwelche Schwierigkeiten zu haben. Sie hatten überhaupt alle nie Schwierigkeiten. Sie merkte, wie stark und überlegen sie sich ihr gegenüber fühlten, wie sehr sie ihr Ego an ihr stärkten, anstatt ihr selbst einmal ein wenig Kraft zu geben. Ihr war, schmerzhaft und überdeutlich, die Wahrheit einer Behauptung aufgegangen, die sie stets als Klischee abgetan hat: Wer am Boden liegt, der wird auch noch getreten.
Es stimmte. Sie traten sie nach Herzenslust. Sie nahm Beruhigungsmittel, um am Morgen die Schule überhaupt betreten zu können. Sie fing an, unter Schlafstörungen und Asthma zu leiden. Sie konsultierte einen Arzt wegen ihrer Magenschmerzen, und der stellte eine heftige Entzündung fest.
»Sie werden bald ein Geschwür haben«, warnte er, »Sie müssen Streß reduzieren, Aufregungen meiden.«
Ihr klang noch heute ihr eigenes bitteres Lachen in den Ohren. Der Arzt hätte ihr auch vorschlagen können, den Mond vom Himmel zu holen und ihn sich im Wohnzimmer aufzuhängen. Streß und Aufregung steigerten sich von Tag zu Tag. Sie
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