Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
perlt, oder eine mit Wasser gefüllte Glasschale, in der bunte Blüten schwimmen. Sie macht sich viel Mühe, sucht Sprüche und Gedichte zusammen, die sie unter die Bilder schreibt und die in irgendeiner Weise zu dem betreffenden Monat passen. Ich bekomme einen solchen Kalender nun seit fast fünfzig Jahren. Helene ist geradezu besessen davon, die Rosen im Garten zu fotografieren, sie muß Tausende von Bildern haben inzwischen. Am liebsten sind ihr die Rosen, die zwischen der weißen Mauer und der Vogeltränke wachsen, an dem Ort, an dem wir uns das erste Mal trafen. Hier knipst sie, als würde sie dafür bezahlt. Mich macht es oft auf eine eigenartige Weise aggressiv, wenn ich sie dort mit ihrer Kamera herumschleichen sehe, sie bewegt sich vorsichtig, als könne eine hastige Bewegung eine Rose sterben lassen oder den Ort entweihen.
Das Dumme ist nur, daß ich Rosen nicht sonderlich mag und der ganze Kalender verlorene Liebesmüh ist. Habe ich Ihnen davon eigentlich schon erzählt? Von meiner Abneigung gegenüber Rosen? Üblicherweise erwartet man von einer Rosenzüchterin Liebe zu diesen Pflanzen, denen sie schließlich ihr Leben verschrieben hat — denn irgendwo ist der Beruf das Leben, oder sehen Sie das anders, Franca? Und da liegt bei mir das Problem: Die verdammten Rosen haben mein Leben bestimmt, das ich eigentlich ganz anders hatte führen wollen.
Nach meinem Studium drüben in Southampton hätte ich mich gern in der Welt umgesehen, aber da kam dann zunächst Cambridge dazwischen, was auch in Ordnung war. Cambridge ist nicht die große Welt, aber es hat eine Atmosphäre, die mir gefallen hat. Statt dessen bin ich wieder auf Guernsey gelandet und habe, mit ziemlich durchschnittlichem Erfolg, Rosen gezüchtet. Ich werde in dem Haus sterben, in dem ich geboren wurde und in dem ich immer gelebt habe. Falls Helene nicht vor mir stirbt — sie ist zehn Jahre älter als ich, aber das muß nichts bedeuten —, wird auch in
meiner Todesstunde ein Rosenkalender über meinem Bett hängen. Vielleicht finde ich noch die Kraft, ihn umzudrehen oder herunterzureißen. Wenn ich sterbe, möchte ich, daß ein Hund mein Gesicht leckt, ich möchte diesen warmen, immer etwas fauligen Atem riechen, und meine Hand soll sich in dickem, weichem Fell vergraben. Dann hätte ich das Gefühl, ein Stück Leben mitzunehmen. Aber Helene würde es fertigbringen, mir eine frisch erblühte Rose unter die Nase zu halten, um mir meine letzte Minute zu »versüßen«, und ich kann nicht garantieren, daß ich dann nicht kotzen müßte.
Oh, Franca, welch ein Weihnachtsbrief! Jetzt male ich mir meine Todesstunde aus, und Sie denken vermutlich, die arme Alte ist schon völlig durchgedreht. Dabei ist heute kein Tag, um trüben Gedanken nachzuhängen, im Gegenteil! Alan ist gestern bereits angekommen, er schläft im Gästezimmer, und vor zwölf Uhr heute mittag werde ich ihn nicht zu Gesicht bekommen, denn im Urlaub verläßt er sein Bett meist erst um die Mittagszeit. Vor allem dann, wenn er am Vorabend tief ins Glas geschaut hat. Er hat gestern eine ganze Flasche französischen Rotwein allein geleert, dann noch mehrere Schnäpse hinterhergekippt, und zuvor hatte er einen doppelten Whisky als Aperitif. Ich frage mich, wie seine Leber mit all dem fertig wird. Wahrscheinlich gibt sie’s irgendwann einfach auf.
Kevin wird heute abend für uns kochen, das heißt, er wird natürlich schon im Laufe des Nachmittags damit anfangen. Er bringt praktisch seine gesamten Küchengerätschaften mit, weil er der Ansicht ist, mit meinen unzulänglich vorhandenen Mitteln niemals ein schmackhaftes Essen zubereiten zu können. Einfacher wäre es wahrscheinlich, wir würden zu ihm gehen, aber es ist eine Tradition, daß wir am 24. Dezember hier essen, und man soll mit Traditionen nicht brechen. Es wird wieder eine herrliche Mahlzeit sein, und nicht einmal Helene wird behaupten können, keinen Bissen hinunterzukriegen. Schon deshalb nicht, weil sie Kevin wirklich liebt. Und weiß, daß er sie liebt. Irgendwie gleichen sie einander in ihrer mäkeligen Art, und sie sind beide die größten Hypochonder, die ich kenne; sie machen sich nie über die Wehleidigkeit des anderen lustig, sondern hören einander aufmerksam und voller Mitgefühl zu.
Dann habe ich noch Mae und Maja eingeladen, das heißt, eigentlich hatte ich nur Mae gebeten zu kommen. Aber gestern rief sie an und fragte, ob sie Maja mitbringen dürfe, diese habe sich wieder einmal mit ihren Eltern überworfen,
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