Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
beharrte Beatrice, »sagte sie es zum erstenmal. Und ich hätte gewarnt sein müssen. Sie jammerte und lamentierte nämlich nicht einfach, so wie sie es heute ständig tut. Es war Neid in ihrer Stimme, blanker, häßlicher Neid. Später habe ich ihn nie wieder herausgehört, da hatte sie ihn unter Kontrolle, genauer gesagt: Sie hatte eine Strategie gefunden, mit ihm umzugehen. Sie hatte einfach beschlossen — unbewußt vielleicht, aber deshalb nicht weniger unnachgiebig —, mein Leben dem ihren anzugleichen. Indem
sie mich mit all ihren Ängsten und Sorgen und Hunderten von Vorsichtsmaßnahmen ebenso einengte, wie sie sich selbst immer eingeengt hatte, war sie in der erleichternden Situation, eine Genossin gefunden zu haben. Indem sie mich ebenfalls zum Opfer machte, hat Helene ihre eigene Opferrolle hinnehmen können. Und an jenem Tag im Garten hat sie begonnen, mich zu einem Teil ihres unerfüllten, beengten, unglücklichen Lebens zu machen.«
Kevin schenkte Wein nach und setzte sich Beatrice gegenüber an den Tisch. »Wenn du das damals hättest überblicken können«, sagte er, »was, nach meiner Ansicht, völlig unmöglich ist für ein elfjähriges Mädchen — aber wenn du tatsächlich ihren Neid hättest erkennen und die richtigen Schlußfolgerungen daraus ziehen können —, was hätte es geändert? Wo hättest du eine Möglichkeit gehabt, etwas anders zu machen?«
»Nirgends«, sagte Beatrice. »Komm, laß uns essen, bevor es kalt wird.«
9
Franca wachte mitten in der Nacht auf, weil sie einen Alptraum gehabt hatte. Sie konnte sich nicht sofort erinnern, worum es gegangen war, aber sie war naß am ganzen Körper, ihr Herz galoppierte, und in ihr war ein eigentümliches inneres Zittern. Sie lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit, und dann plötzlich drängten die Bilder des Traumes in ihr Gedächtnis, und sie stöhnte leise auf. Sofort bewegte sich Michael neben ihr, und sie hielt den Atem an, um ihn nicht zu wecken. Er hatte einen leichten Schlaf, zudem ein untrügliches Gespür für Francas psychische Befindlichkeit. Er würde sofort merken, daß es ihr schlecht ging, würde mit gereizten Vorwürfen reagieren oder mit Ratschlägen, bei denen sie sich noch elender fühlen würde. Inzwischen hatte sie einen Punkt erreicht, an dem sie lieber mit dem Schornsteinfeger über ihre Probleme gesprochen hätte als mit ihrem Mann — obwohl nach ihrem Verständnis eine Ehe auch deshalb eingegangen wurde, um in Krisenzeiten füreinander da zu sein.
Vielleicht dauerte aber auch ihre Krise einfach schon zu lange. Das jedenfalls hätte Michael entgegnet, wenn sie ihm ihre Definition des Begriffs Ehe dargelegt hätte.
»Natürlich steht man in Krisen zueinander«, würde er sagen, »aber wenn eine Krise über Jahre dauert, kann der Partner nicht mehr die Anlaufstelle sein. Dann muß das Krisenopfer irgendwie lernen, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.«
Er gebrauchte diesen Ausdruck gern. Sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen stellte für ihn offensichtlich den Inbegriff von Stärke und Entschlossenheit dar. Michael war der Ansicht, dieses Kunststück selbst schon mindestens ein dutzendmal in seinem Leben praktiziert zu haben, wohingegen Franca die Überzeugung hegte, daß Michael erstens in Wahrheit noch nie in einem Sumpf gesteckt hatte und daß es zweitens diesen vielbeschworenen Trick überhaupt nicht gab.
Man braucht Hilfe im Leben, dachte sie, immer wieder braucht man Hilfe.
Doch dann überlegte sie, daß es falsch war, wenn sie »man« sagte: Es mußte »ich« heißen. Sie brauchte Hilfe. Michael hatte sie noch nie gebraucht.
Lautlos erhob sie sich, wagte nicht, nach ihrem Morgenmantel zu suchen, aus Angst, Michael dadurch zu wecken, sondern huschte einfach aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Sie fröstelte; naß geschwitzt wie sie war, würde sie sich eine Erkältung holen, wenn sie nicht aufpaßte. Im Wohnzimmer fand sie eine Wolldecke, sie hüllte sich darin ein und kauerte sich in den Sessel am Fenster. Jenseits der schräggestellten Jalousien verriet noch kein Lichtschein die Nähe des Morgens. Die Nacht war schwarz und tief, eine sehr dunkle Oktobernacht, von der sie wußte, daß sie nach Feuchtigkeit roch, nach Laub, das bald fallen würde, nach Abschied und nach einer Kälte, die lange dauern würde. Sie zitterte unter der dicken, weichen Wolle der Decke, ein inneres Zittern, das aus dem Gefühl tiefsten Alleinseins rührte.
Sie hatte am Vormittag
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