Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
letzten Stunde gehabt, aber Mae hatte fast nichts begriffen, und während sie von St. Martin über staubige Feldwege nach Hause stapften, erklärte Beatrice die Zusammenhänge. Die fremde Sprache bereitete ihr keinerlei Mühe mehr, sie unterhielt sich fast fließend mit Erich und Helene, und manchmal träumte sie sogar auf deutsch. Mae hingegen hatte größte Schwierigkeiten; sie brach sich fast die Zunge und stotterte herum, daß weder ein Engländer noch ein Deutscher sie hätte verstehen können.
Als sie am Eingang des Dorfes vor dem Haus der Wyatts ankamen, hatte sie immer noch nichts begriffen, aber sie verabredeten, sich am nächsten Morgen früher als gewohnt zu treffen und den Stoff noch einmal durchzugehen. Beatrice setzte ihren Weg allein fort. Rechts und links in den Gärten wogte das hohe Junigras, verblühte der letzte Löwenzahn, wucherten dicke Farne und blaßlila Fingerhut. Die Tage waren jetzt endlos lang und die Nächte hell und von einer Wildheit erfüllt, die von der Schlaflosigkeit herrühren mochte, die jetzt Menschen und Tiere plagte. Beatrice erinnerte sich, daß Deborah immer gesagt hatte, im Juni fühle sie sich ständig so, als habe sie Sekt getrunken. »Und sehnsüchtig!« hatte sie gesagt. »So sehnsüchtig! Wenn spät in der Nacht noch immer dieser helle Streifen am Himmel ist, dann denke ich, irgend etwas wartet dort hinten auf mich, irgend etwas ruft und lockt mich, und ich möchte diesem Ruf dann so gern folgen... «
Andrew hatte sie mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen. »Ich muß sagen, das klingt ein wenig bedenklich. Du hörst dich an wie ein junges Mädchen, das von der großen Liebe träumt. Wahrscheinlich genüge ich dir einfach nicht mehr!«
Deborah hatte gelacht und ihn umarmt und Beatrice den Eindruck vermittelt, sie habe nur Spaß gemacht. Aber Beatrice wußte, daß ihre Mutter manchmal nachts im Garten gesessen und unverwandt auf den Lichtstreifen im Westen geblickt hatte; drei- oder viermal hatte sie sie dabei überrascht, als sie selbst schlaflos umhergeirrt war. Deborahs ganzer Körper war angespannt gewesen,
und in ihren Augen hatte eine fremde, beängstigende Verzweiflung gelegen. Beatrice hatte nicht gewagt, sie anzusprechen, sie war auf Zehenspitzen wieder davongehuscht und hatte sich tief unter ihrer Bettdecke vergraben. Ihre Gewißheit, in einer heilen Welt zu leben, hatte einen Sprung davongetragen; sie vermochte Deborahs Verhalten nicht einzuordnen, aber sie spürte, daß ihre Mutter in Wahrheit nicht so glücklich und ausgeglichen war, wie es nach außen hin stets den Anschein hatte. Im Lauf der Jahre stellte sie aber auch fest, daß die Unruhe Deborah immer nur im Mai zu ergreifen pflegte, daß sie im Juni ihren Höhepunkt fand und Mitte Juli wieder abklang. Es lag an den hellen Nächten. Die dunklen gaben Deborah ihre Heiterkeit und ihr fröhliches Lachen zurück.
Jetzt aber war Juni, und Beatrice mußte ständig an ihre Mutter denken. Ob sie drüben in England auch nachts hinauslief, sich ins Gras setzte und vibrierte vor einem Ereignis, von dem sie nicht wußte, wie es aussehen sollte, dessen Eintreten sie jedoch ersehnte wie nichts sonst auf der Welt? Oder beschäftigte sie die Sorge um ihr Kind so sehr, daß alles übrige in den Hintergrund trat?
Beatrice war überzeugt, daß sie ihre Eltern wiedersehen würde, einen anderen Gedanken hätte sie nicht ertragen, aber manchmal hatte sie Angst, daß in der Zwischenzeit Dinge geschehen könnten, die sie alle zu sehr veränderten, die es unmöglich machen würden, ihr gemeinsames Leben an dem Punkt fortzusetzen, an dem es so jäh geendet hatte. Sie würden den alten Frieden nicht mehr finden. Sie würden mit Bildern leben, die im Gedächtnis brannten, und mit Schrecken, die in den Träumen umhergeisterten. Und wie lange würde es dauern, bis die Deutschen entweder die ganze Welt erobert hatten oder vor ihren Gegnern kapitulieren mußten?
Vielleicht dauert es, bis ich erwachsen bin, dachte Beatrice voller Angst, und Mum und Dad erkennen mich gar nicht mehr, wenn sie mich sehen. Ich bin eine andere geworden, und wir wissen nicht, worüber wir miteinander reden sollen. Sie war deprimiert, als sie die Auffahrt zum Haus erreichte, und die Hitze setzte ihr zu. Früher hatte ihr kein Wetter, ob Sonne, Wind oder Regen, etwas ausgemacht, aber seit einiger Zeit wurde ihr schwindelig, wenn es besonders warm oder kalt war, und sie fühlte sich oft matt und elend.
»Du wächst zu schnell«, hatte Helene gesagt,
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