Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
schäbig von Kevin, Helene für seine Aufmerksamkeit sozusagen bezahlen zu lassen, aber immerhin bekommt sie etwas von ihm, was sie das Alter leichter ertragen läßt. Ich denke, die letzten Lebensjahre sind nicht so einfach, und Abende
wie dieser, zusammen mit der tagelangen Vorfreude, sind mehr wert als alles Geld.«
»Helene ist ein verzogenes Geschöpf und maßlos in ihren Ansprüchen«, entgegnete Beatrice ärgerlich. »Sie hat schon immer geglaubt, das Leben müsse sie mit Samthandschuhen anfassen, und mit all ihrem Gequengele ist es ihr tatsächlich gelungen, dauernd Menschen zu finden, die sie umsorgt und verzärtelt haben. Es ist einfach unvernünftig, das Geld derart zum Fenster hinauszuwerfen. Schließlich ist es ja möglich, daß ich vor ihr sterbe und sie zum Pflegefall wird, daß sie Betreuung und dafür dringend Geld braucht. Sie denkt einfach nicht voraus, das ist das Unglück mit ihr. «
»Wie lange ist ihr Mann schon tot?« fragte Franca.
»Erich? Seit Mai’ 45 «, antwortete Beatrice kurz und drückte die Zigarette auf einem Teller aus. »Vor genau fünfundfünfzig Jahren hat er uns verlassen.«
Ihre harsche Stimme schüchterte Franca ein, aber sie fragte dennoch: »Und... war es schlimm für Helene? War es schlimm für Sie?«
»Schlimm?« fragte Beatrice. Sie zündete sich ohne Umschweife die nächste Zigarette an, blies den Rauch in die Luft und schaute nachdenklich den grauen Ringen hinterher. »Wissen Sie, man erschrickt, wenn jemand plötzlich tot ist. Es sei denn, er hat ein Alter erreicht, in dem man damit rechnet, aber das war bei Erich ja nicht der Fall. Er war vierundvierzig, als er starb, und es war schon ein Schock. Für Helene vielleicht noch mehr als für mich, aber für mich auf jeden Fall auch.«
Sie schwieg einen Moment. Franca sah sie abwartend an. Es drängte sie, mehr von Erich zu hören, von den Dingen, die sich vor langer Zeit in diesem Haus zugetragen hatten. Sie wußte nicht sicher, ob ein echtes Interesse in ihr war oder ob sie nur die Stimme in sich betäuben wollte, die von Michael sprach, die ihr Angst einflößte und ihr ständig erklärte, mit ihrem Davonlaufen habe sie etwas Unmögliches getan, das nur ein schlimmes Ende nehmen könne. Sie wollte nicht hinhören. Sie war zu erschöpft, um sich mit all den Problemen, die auf sie zukommen mochten, auseinanderzusetzen.
Morgen denke ich darüber nach. Oder übermorgen. Irgendwann, wenn ich nicht mehr so müde bin.
»Aber der Schock verging«, fuhr Beatrice fort. »Und letztlich waren wir erleichtert. Ich kann nicht sagen, daß Erich ein durch und durch schlechter Mensch war, aber tatsächlich war er ein schädlicher Mensch. Er hat anderen Menschen Unglück gebracht, selbst dann, wenn er es gerade einmal gut meinte. Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich nicht behaupten, es sei schade um ihn.«
»Hat er Helene weiterhin so schlecht behandelt in den Jahren vor seinem Tod?«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Er gab sich mehr Mühe. Ihr Selbstmordversuch hatte ihn stärker erschreckt, als er zugab. Vielleicht fürchtete er auch um seine Reputation: Es mußte ein schlechtes Licht auf ihn werfen, wenn seine Frau ständig versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Denn auf den Inseln hatte sich die Geschichte natürlich in Windeseile herumgesprochen. Also nahm er sich zuammen. Er bemühte sich, ein Eheglück zu demonstrieren, das so natürlich nicht existierte, aber tatsächlich fiel er nicht mehr einfach grundlos über Helene her und machte ihr willkürliche Vorhaltungen. Aber er wurde in anderer Weise unangenehm. Äußerst unangenehm sogar.«
Guernsey, Juni 1941 bis Juni 1942
Zunächst empfand Beatrice Erleichterung, als sich der Umgangston zwischen Erich und Helene entschärft hatte, aber bald merkte sie, daß unterschwellig die gleichen Spannungen herrschten wie zuvor und daß sie sich in dieser unausgelebten Form manchmal furchteinflößender anfühlten als vorher. Man schien auf einem Pulverfaß zu sitzen, das jeden Moment in die Luft fliegen konnte.
Im Sommer 1941 wurde es schlimmer. Erich hatte ein depressives Frühjahr hinter sich; er war die meiste Zeit niedergeschlagen gewesen, in sich gekehrt und still bis hin zur Sanftmut. Nun schien er in eine neue Phase zu treten. Er hatte das Tief überwunden, gewann an Energie und Tatkraft. Er konnte jovial und gönnerhaft
auftreten, aber auch aggressiv und gehässig. Da er nicht mehr wagte, seinen Zorn an Helene abzureagieren, schikanierte er zunehmend
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