Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
eine Reihe von Briten, die ein solches Interesse hegten. Die Zahl der Denunziationen - die meist anonym erfolgten - war erstaunlich hoch. In der Hauptsache wurden Leute angezeigt, weil sie ein Radio besaßen; das war verboten, aber viele hatten sich dem Befehl, die Geräte abzugeben, widersetzt. Außerdem blühte ein reger Schwarzmarkt, mit dessen Hilfe das ausschließliche Angewiesensein auf Lebensmittelkarten umgangen wurde. Auch hier kam es zu Anzeigen, und Erich konnte durchaus darauf hoffen, daß Menschen, die einem entflohenen Zwangsarbeiter Unterschlupf gewährten, über kurz oder lang von einem Nachbarn oder einem langjährigen Intimfeind angezeigt würden.
Zu Beginn der letzten Juniwochen fielen die Deutschen in Rußland ein. In der Schule sprach man aufgeregt davon. Die Deutschlehrerin verkündete, nun gehe es mit großen Schritten dem Endsieg entgegen. Sie zeigte den Schülern auf der Landkarte, wie groß Rußland war.
»Ihr könnt euch sicher denken, wie mächtig Deutschland ist, wenn uns das alles gehört«, sagte sie so stolz, als führe sie selbst die Eroberer an. »Danach wird kein Volk der Welt mehr ernsthaft Widerstand leisten.«
Beatrice fand, daß Deutschland ziemlich klein aussah auf der Karte, verglichen mit Rußland, und es schien ihr recht waghalsig von Hitler, es mit einem so mächtigen Gegner aufzunehmen. Aber
dann sah sie die vielen schraffierten Stellen in Europa, die die Gebiete markierten, die von Deutschland erobert worden waren, und sie seufzte tief. Die Nazis hatten bereits eine Menge geschafft. Vielleicht war ihr Selbstbewußtsein durchaus gerechtfertigt. Irgendwann würden sie die Welt beherrschen, und für alle Zeiten würde man die stiefelknallenden Soldaten um sich haben, mußte rechts statt links fahren, deutsch sprechen und die Hakenkreuzfahne wehen sehen anstelle des Union Jack. Aber wenigstens würde sie dann wieder mit Andrew und Deborah zusammensein.
Der Sommer, sehr heiß und trocken, verging, ohne daß Julien wieder auftauchte. Seine Flucht bedeutete auch einen Bruch in der Beziehung zwischen Erich und Beatrice: Sie fungierte nicht länger als seine Vertraute. Er wußte - und sie bemühte sich nicht, es zu verbergen -, daß sie auf Juliens Seite stand und darauf hoffte, er werde nie erwischt werden. Zwar war sie auch zuvor nie eine Anhängerin Erichs oder gar der Nazis gewesen, ihr Herz hatte für die Besiegten, nicht für die Sieger geschlagen, aber es hatte sich keine Situation ergeben, in der das wirklich offensichtlich hätte werden können. Nun hatten sich die Fronten geklärt. Erich war sich wieder der Tatsache bewußt, daß er das Haus, in dem er mit Beatrice lebte, okkupiert hatte, daß er nicht freiwillig dort aufgenommen worden war. Sie war eine Gegnerin, und er hatte einer Gegnerin allzuviel Intimes anvertraut. Er trat einen inneren Rückzug an, mied ihre Nähe, ließ kein Gespräch entstehen, das über einen notwenigen Informationsaustausch hinausgegangen wäre. Beatrice fühlte, wie er sie ständig fixierte, wie sich sein Blick manchmal förmlich an ihr festsaugte, wie er dagegen ankämpfen mußte, sie wie früher in ein Gespräch über seine Probleme zu ziehen. Er sah schlecht aus und trank zuviel Alkohol, begann oft schon am Nachmittag damit, kaum daß er daheim war. Die Hitze trug dazu bei, daß er dann rasch schläfrig wurde. Beatrice fand es herrlich, häufig mit Helene allein zu Abend zu essen, weil Erich schnarchend auf dem Sofa oder sogar schon im Bett lag. Helene ging ihr zwar auch auf die Nerven, verhielt sich aber nicht feindselig. Sie jammerte und klagte, attackierte aber niemanden.
Hat sich einer von beiden eigentlich je überlegt, wohin ich gehe mit meinen Problemen? fragte sich Beatrice bitter.
Früher hatte sie mit ihren Eltern über die Dinge gesprochen, die sie beschäftigten, und wenn sie mit ihnen nicht hatte reden wollen, war sie zu Mae gegangen. Aber zu Mae fand sie nun keinen rechten Zugang mehr. Sie hatte das Gefühl, Jahre älter zu sein als die Freundin, zuviel erlebt zu haben und ständig zu erleben, wovon Mae keine Ahnung hatte. Mae mußte wie sie unter deutscher Besatzung leben und sich mit gravierenden Veränderungen ihres Alltags herumschlagen, aber sie stand nach wie vor unter dem Schutz ihrer Familie, hatte ihren Vater und ihre Mutter um sich und war ein naives, kleines Mädchen, wie Beatrice fand. Sie erlebte wirklich und hautnah, was deutsche Besatzung hieß. Sie war von ihren Eltern getrennt worden und hatte keine
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