Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
zurechtkommt. Vermutlich damit, daß er einfach ein Jahr älter wird.«
»Vermutlich damit, daß er einfach nicht im Mittelpunkt steht«, entgegnete Beatrice.
Erich kam, als Helene und Beatrice gerade beschlossen hatten, schlafen zu gehen. Die Kerzen am Baum waren heruntergebrannt, der Tisch abgedeckt, der Raum von Schläfrigkeit erfüllt. Der Wein hatte Beatrice benebelt; es war das erste Mal, daß sie Alkohol getrunken hatte. Sie fand es ein wenig schwierig, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren.
Erich war glänzender Laune und sehr berauscht. Beatrice vermutete, daß er Tabletten genommen hatte, um sich aufzuputschen. Er wollte nichts mehr essen, aber er lamentierte herum, weil die Kerzen am Baum nicht mehr brannten, und schließlich mußte
Helene auf die Suche nach neuen Kerzen gehen, sie in den Haltern befestigen und anzünden. Erich sagte, sie sollten alle zusammen »Stille Nacht« singen, aber es waren dann nur er und Helene, die sangen, weil Beatrice den deutschen Text nicht kannte. Dann stellte sich Erich in die Mitte des Zimmers und begann einen Vortrag über den Krieg zu halten, wobei er sich hochtrabender Worte, wilder Gesten und dramatischer Blicke bediente. Der Endsieg war in greifbarer Nähe, der Führer stand im Begriff, der Welt seine ganze Größe zu beweisen, die Herrenrasse säuberte die Erde von allen niederen Subjekten. Erich schleuderte Parole um Parole in den Raum, mit heiserer, betrunkener Stimme, aber mit etwas seltsam Unechtem in seinem Blick, in seiner Gestik, in seiner Ausstrahlung.
Er glaubt nichts von dem, was er sagt, dachte Beatrice, er redet vorformulierte Worte, weil er nicht nachdenken will. Aber es ist Schwachsinn, und er weiß, daß es Schwachsinn ist.
»Ich gehe schlafen«, sagte sie und wollte aufstehen, aber Erich drückte sie auf ihren Stuhl zurück. »Bleib sitzen. Ich bin noch nicht fertig.«
Er redete weiter, öffnete zwischendurch eine Weinflasche, schenkte Helene und Beatrice trotz deren Protest ein, trank selber ein Glas und gleich darauf ein zweites. Seine Worte wurden undeutlicher, die Sätze erschienen manchmal zusammenhanglos, dann wieder ergaben sie einen gewissen Sinn, waren aber einfach die Wiederholung dessen, was die Nazi-Propagandamaschinerie ständig ausspuckte.
Irgendwann waren die Kerzen ein zweites Mal heruntergebrannt, und Erich stand nicht mehr, sondern saß, hielt sich am Tisch fest und verkündete, daß er Erich Feldmann heiße und niemand etwas dagegen tun könne.
»Vielleicht sollten wir ihn hinaufbringen«, meinte Beatrice.
Erich sträubte sich nicht, als er rechts und links untergefaßt und die Treppe hinaufgeführt wurde. Er versuchte zu reden, aber es gelang ihm nicht mehr, ein einziges klares Wort auszusprechen. Oben im Schlafzimmer bugsierten Helene und Beatrice ihn sofort zum Bett, wo er sich ausstreckte und im nächsten Moment einschlief.
»Morgen wird ihm entsetzlich schlecht sein«, sagte Helene seufzend.
»Ich frage mich, ob es jemals möglich sein wird, mit ihm ein Weihnachten zu erleben, das nicht schrecklich ist!«
Beatrice fand, daß praktisch jeder Tag schrecklich war mit ihm, aber sie sagte nichts. Sie sehnte sich nach Ruhe und Schlaf, und mehr denn je nach Deborah und Andrew.
Am nächsten Morgen wachte sie sehr früh auf, obwohl sie erst so spät ins Bett gekommen war. Ein nebliger, kalter Tag schaute zum Fenster herein, grau und dunkel. Ihr fiel ein, was Erich über diese Jahreszeit gesagt hatte, und für einen Moment konnte sie den Schauder nachempfinden, der ihn erfüllen würde, wenn er heute die Augen aufschlug und den Nebel sah. Aber dann erinnerte sie sich, daß es der 25. Dezember war und daß sie in früheren Zeiten den Tag schön gefunden hätte, trotz der Kälte und des Nebels. Im Wohnzimmer hätte ein warmes Feuer im Kamin gebrannt, das Haus hätte geduftet nach Kaffee und Eiern mit Speck, und sie hätte im Morgenmantel auf dem Teppich gekniet und ihre Geschenke ausgepackt. Sie hätte sich eingehüllt gefühlt von Liebe und Wärme, hätte den Weihnachtsliedern gelauscht, die Deborah mit leiser Stimme vor sich hin trällerte.
Sie stand auf, zog sich an und ging nach unten, fand ein kaltes, ungemütliches Eßzimmer vor, in dem kalter Kerzenrauch zwischen den Wänden hing und leere Gläser und Flaschen auf dem Tisch standen; Überbleibsel des Alkoholexzesses, dem sich Erich am Vorabend hingegeben hatte.
Auf einmal befiel Beatrice der Eindruck, diesen Morgen in diesem Haus mit Erich und Helene nicht
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